Irgendwann im Jahr 1995 kam eins der beliebtesten Erasure-Alben auf den Markt, das aber kein Erfolg war. Das selbstbetitelte Album ERASURE. Bis heute gilt das von Ambient-Klängen dominierte und überlange Album als eins der beliebtesten Alben der beiden Briten. Hoch gelobt von Kritikern und Fans, blieb es trotzdem zu experimentell für hohe Verkäufe. Und auf diesem Album wandte man sich von poppigen 3-Minuten-Nummern ab.
Die mehr als 70 Minuten beginnen mit „Intro: Guess I’m Into Feeling„, einem reinen Intro, das den Hörer auf den Oberbegriff der CD einschwört: Die höhere Ebene des Dings, das man Liebe nennt. Ich würde sagen, es handelt sich um eine Mischung aus Synthiepop und Gospel.
Es folgt das Stück „Rescue me„, eine soulige Club-Nummer mit HiNRG-Elementen, die über den Schmerz erzählt, den man hat, wenn man merkt, dass man ein Idiot ist. Man will gerettet werden, weil man mit dem Partner zusammen sein will. Irgendwie passt dieses Lied in die Mitt-Neunziger, in denen man viele derartige Lieder hörte.
Experimentell wird es dann mit dem sphärischen „Sono Luminus„. Er möchte die Höhe erleben, die weiter oben als der Himmel ist. Denn da, wo er jetzt ist, ist alles so unvertraut. Und er will all seine Ängste verlieren. Und die zentrale Aussage ist, dass Liebe Berge versetzen kann. „Sono Luminus“ ist eigentlich Bullshit, aber auch eine Musikfirma hat sich danach benannt. Am ehesten trifft „Erleuchtet vom Klang“. Aber ich bin mir nicht sicher.
Der große Hit aus dem Album war „“Fingers & Thumbs (Cold Summer’s Day)„. Die Eurodance-Nummer erzählt trübsinnig darüber, dass man nicht zu schätzen weiß, was man hat, bis es weg ist. Und das wird einem an einem kalten Sommertag klar. Eigentlich wollte ich Ihnen die Album-Version anbieten, aber das ist sehr schwierig. Also musste es dieser Radio-Remix sein.
Ebenso verhält es sich mit „Rock me gently„. Die sanfte Gospel-Nummer ist ein wirklicher Anspieltipp in vollen 10 Minuten auf dem Album. Gemeinsam mit dem London Community Gospel Choir und der Vocal-Künstlerin Diamanda Galas über – wie kann es anders sein – über große Gefühle erzählt. Es handelt sich um eins der ungewöhnlichsten Lieder des Duos.
„Grace“ ist dann der nächste Hinhörer. Die gedämpfte Nummer erzählt über den Preis des Lebens. Wenn es schon billiger ist, wenn man tot ist, dann kann man auch schwören, dass man im Einklang mit der Gnade leben will. Wo ist denn der Sinn in sinnloser Gewalt. Es gibt keine Entschuldigung dafür, einen Menschen zu erschießen, der bereits auf allen Vieren kriecht.
Eine waschechte Ballade kommt dann mit „Stay with me„. Die Nachtschwärmer kommen aus dem Schlaf, wenn die Gebäude atmen. Man soll zu ihm halten wie ein Achter auf dem Ozean und soll bei ihm bleiben, wenn man mit Hingabe erfüllt wird. Und man schenkt sich eine kleine Welt. Lyrisch wird hier meiner Meinung nach das Thema aufgegriffen, dass Homosexuelle auch in den Neunzigern noch geheime Orte aufsuchen mussten.
Die wunderbare Rumba „Love The Way You Do So“ wird dann wieder optimistischer. Es ist quasi die fröhliche Version von „Stay with me“. Sie werden Seite an Seite liegen und reden und reden. Und das liebt er, wie es eben ist. Bei dieser soften Nummer kann man sich eigentlich nur zurücklehnen und die Seele baumeln lassen. Ja, es klingt fast, wie irgendein Schlagerfetzen, aber es ist ein sehr gutes Lied.
„Angel“ ist dann wieder eine Synthiepop-Nummer. Etwas, was Erasure immer am besten konnte. Er sagt „Ja“ zur Liebe, und dann gibt es keine Geheimnisse mehr. Und dann kann man wie ein Engel fliegen und die ewige Liebe schüren. Vom Klang her ist man an die Abba-Coverversionen der beiden Musiker erinnert. Schön unaufgeregt kommt das Lied daher.
Wie man sich bettet, so liegt man. Die ewige Mühsal steht für den Masochisten auf dem Spiel. Ähnlich einer Andacht kommt „I love you“ mit dem Liebesgeständnis daher. Mit dem Lied wird auf die Hürden hingewiesen, wenn man sich versucht, zusammen zu raufen. Es geht um Tränen, wenn man auf Enttäuschungen trifft. Für mich ist dieses Lied das beste auf der CD.
Mit „A long goodbye“ geht das Album zu Ende. Plötzlich ist man außer Reichweite, und alles geht schief. Die ganzen Tränen aus „I love you“ haben nichts genützt. Jeder geht seinen eigenen Weg, und es kommt zu einem langen Abschied. Da kann man sich noch so sehr wünschen, dass der andere das „Heiligtum am Morgen“ ist, wenn das Leben nur noch eine Illusion ist, ist alles zu spät.
Das Album war im Vergleich zu anderen Veröffentlichungen ein Misserfolg. Aber es ist alles andere als ein schlechtes Album. Es ist ein Hörgenuss, dem man sich die reichliche Stunde einfach mal hingeben muss. Man muss Erasure nach diesem Album anders einstufen. Nicht mehr die Popsternchen, mehr die Musik-zelebrierenden Eigenbrödler.
One Reply to “20 Jahre „Erasure“ von Erasure”