25 Jahre Wiedervereinigung, und was macht der typische Deutsche? Er jammert und meckert. Ist das nicht dämlich? Die große Party fällt aus. Irgendwie findet die zwar statt oder so, und es gibt auch einen gesetzlichen Feiertag. Aber was immer irgendwer im Internet absondert, deutsche Leute kommentieren das mit Meckerei. Irgendwie ist das nicht so richtig nachvollziehbar. Sollten wir nicht unsagbar froh sein, dass es seit 25 Jahren offiziell wieder ein Deutschland gibt? Ich höre da schon die Meckerer, die da faseln, dass es keinen Grund gibt für Frohsinn. Aber warum eigentlich nicht?
Ich bin Baujahr 1973. Ich habe meine komplette Schulzeit in der ehemaligen DDR erlebt. Ich habe erlebt, wie es ist, wenn einzelne Dosen mit irgendwas als Inhalt formschön in den Konsum-Verkaufsstellen in den Regalen drapiert wurden. Ich habe erlebt, wie es ist, wenn man von der Verwandschaft in Baden-Württemberg oder in Bayern oder so nicht viel außer das alljährliche Weihnachtspaket gehört hat. Hier und da kam eine Tante, aber eine richtige Verwandschaftsbeziehung war aufgrund der unüberwindlichen Grenze nicht denkbar.
Wie viele Geschwister wurden durch die Mauer und den Stacheldraht für gefühlt immer voneinander getrennt? Hat mal jemand nach Korea geschaut, wie schlimm sich die Menschen dort fühlen? Nicht anders war das damals in der DDR. Und ich weiß es nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass das in der damaligen BRD nicht anders war. Warum sollten sich die beiden deutschen Volksgruppen da auch unterschieden haben? Die Wunde war groß. Deshalb war die Freude auch riesengroß, als es damals gelang, Deutschland wieder zu einem Land zusammenzufügen.
Mir ist es völlig egal, ob da irgendwer Wiedervereinigung, Übernahme oder was auch immer dazu sagt. Wir sollten dankbar sein, dass das so lange getrennte Volk seit 1989 nicht mehr getrennt ist und dies seit 25 Jahren am heutigen Tag gefeiert wird. Wir sollten uns darüber freuen, denn wie viele Völker sind durch unüberwindliche Grenzen geteilt? Die Wunde, die durch die Grenze nach dem entsetzlichen Krieg entstanden ist, ist noch lange nicht geheilt. Aber Deutschland ist auf einem guten Weg.
Gucken wir uns doch mal das Land an. Es ist lange nicht alles gut. Aber mittlerweile wird jemand aus dem Osten nicht mehr einfach als Maskottchen angesehen, wenn sie oder er in ein westliches Bundesland geht. Und umgekehrt ist es auch nicht mehr so, dass es immer nur „der großmäulige Wessi“ ist. Trotz allem bestehen immernoch Unterschiede, und die gedankliche Mauer gibt es auch noch. Aber die schlimme Wunde wird nach und nach grün. Ich würde mir wünschen, wenn das nicht mindestens jeder zweite Mensch verteufeln würde.
Was da derzeit in Sachen Flüchtlingen und Co. passiert, ist alles andere als gelungen. Ich werde nicht darauf eingehen, was da alles schief gegangen ist. Aber sich ausgerechnet deshalb hinzustellen und den 3. Oktober zu verteufeln und wild drauflos zu meckern, ist unsinnig. Liebe Leute, freut euch doch, dass ihr seit 25 Jahren eure Verwandten und so besuchen könnt, wenn ihr das wollt. Seid doch froh darüber, dass ihr nicht in eurer Kleinstaaterei verharren müsst, wenn ihr einen neuen Job sucht. Seid dankbar, dass seit 25 Jahren das Land eins ist und das Volk zumindest die Möglichkeit hat, ein wirkliches Volk zu sein und nicht nur zwei Volksgruppen.
Aber nein, der deutsche Michel schimpft. Warum ist das denn so? Darf man denn in diesem Land nicht stolz sein, diesem Volk anzugehören? Das koreanische Volk ist auch getrennt. Wenn die beiden Staaten sich wieder zusammentun würden, wäre das Volk sicher froh darüber, auch wenn noch Jahrzehnte nach einer eventuellen Wiedervereinigung nicht alles gut läuft. Oder wenn die Sudanesen wieder zueinander finden würden, würde auch das gesamte Volk am Nationalfeiertag auf den Straßen tanzen. Oder wie sieht es an so vielen anderen Orten aus?
Andere Länder feiern trotz der nationalen Probleme ihr Land zum Nationalfeiertag. Ist der gemeine deutsche Michel nicht dazu in der Lage? Übt man denn wirklich Kritik an der politischen Kaste dieses Landes, wenn man sagt, dass der 3. Oktober uninteressant und kein Tag zum Feiern ist? Wieso? Wieso muss das deutsche Verhalten derart borniert sein? Man stelle sich vor, wie der 4. Juli in den USA stattfinden würde, wie der 14. Juli in Frankreich, der 10. Oktober in Taiwan oder der 2. September in Vietnam. Warum kann man in Deutschland nicht einfach mal sein Land feiern?
Klar, letztes Jahr im Sommer haben sie sich alle in Schwarz, Rot und Gelb angemalt und siegestrunken „Schlaaaaaand“ gebrüllt. Aber wenn es um das Nationalempfinden geht, hat man in Deutschland ein sehr ambivalentes Verhalten. Das ist nicht nachvollziehbar. Auch nicht für das Ausland. Andere Völker, andere Länder stellen sich jedes Jahr aufs Neue am 3. Oktober die Frage, warum die steifen Deutschen ihr Heimatland nicht feiern können. Wenigstens an diesem einen Tag.
Naja, vielleicht schaffen wir es im Jahr 2040, wenn das vereinte Deutschland 50 wird. Dieses Jahr haben wir es vermutlich verkackt. Betrachten wir aber mal das Verhalten mit den Augen eines Deutschen im Ausland, werden wir hoffentlich mitbekommen, wie lächerlich wir uns damit machen. Geht auf die Straßen, feiert das Land, das eure Heimat ist. Ihr habt nur eins. Seid froh, dass das Volk wieder ein Volk ist. Und selbst wenn nicht, versaut nicht denen, die sich über diesen Tag jedes Jahr freuen, die Stimmung.
Ich muss das zwar nichtg unbedinbgt feiern, aber ich finde auch „Schlaaaaaand“-Schreie ziemlich albern.
Trotzdem: Es ist gut, dass es nur noch ein Deutschland gibt und es ist gut, dass sich die Unterschiede lansam verwachsen. Es ist gut, dass wir reisen dürfen, wohin wir wollen. Es ist gut, dass man seine Meinung sagen darf, anderenfalls könnten wir dieses Internet nicht mit Blogs bevölkern.
Ja, es geht uns trotz diverser Probleme ziemlich gut und wenn ich genau überlege, dann könnte man diesen Zustand eigentlich doch ein wenig feiern.