Nachdem wir ja wissen, dass das Küssen ein einziges Datenschutz-Fiasko ist, müssen wir uns darüber unterhalten, warum Menschen es überhaupt machen. Gibt es denn – außer der Übermittlung von Daten – Gründe für das Küssen? Es gibt genügend dagegen, aber das ist ja jetzt nicht das Thema. Es interessiert einfach nicht, dass Bakterien und so übertragen werden können. Es interessiert, was wir über den anderen erfahren können. Und sonst so?
Streng genommen, ist der innige Zungenkuss nichts anderes als ein Akt der Massage. Nur eben nicht mit Händen, sondern eben auch mit einer Zunge. Eigentlich ist die Zunge nichts schönes. Sie ist mit Schleim überzogen und der Hort für jede Menge Bakterien. Die gehören zur Mundflora dazu. Und mit der Zunge sprechen, schmecken und schlucken wir. Ja, manche Zunge landet auch auf Tellern, das sind dann aber eher die von Kälbern. Beim Zungenkuss werden um die 150 Muskeln trainiert. Aber was ist denn das, was uns das „Küssen mit“ als so etwas schönes empfinden lässt?
Es ist ja vor allem so, dass kaum ein Tier küsst. Geschweige denn, dass ein Tier die Zunge dafür benutzt. Und auch nicht in allen Kulturen ist das Küssen recht weit verbreitet. Es heißt, je komplexer eine Gesellschaft ist, desto häufiger wird geküsst. Mit anderen Worten werden nomadisierende Völker eher weniger knutschen als der urbanisierte Stadtmensch. Und die Menschen in der Stadt wollen alles mögliche wissen. Und so wollen sie eben auch wissen, ob jemand biologisch zu ihnen passt.
Im Prinzip ist der Zungenkuss eine Art Risikobewertung: Wie kompatibel ist man, wie gesund ist das Gegenüber? Innerhalb einer Beziehung geht das weiter: Ist mein(e) Partner(in) gesund, funktioniert die Beziehung noch? Solche Fragen werden unbewusst gestellt. Und mit der Zunge analysieren wir den Datenbestand im Speichel. Ja, das ist so gar nicht romantisch. Aber es ist genau das, was es ist: Eine Analysearbeit. Wenn sie noch dazu Spaß macht, dann machen wir doch gern unsere Mundhöhlen zum Labor, oder?