Was ist ein Mediendesaster? Ich habe immer wieder Artikel mit genau diesem Stichwort hier im Blog. Über 200 sind es jetzt. Nun hat es SPIEGEL ONLINE erwischt. Und der allgemeine Schwarm der Konkurrenz mit den geballten Zeigefingern schimpft schon drauflos. Die Nummer rund um den Journalisten Claas Relotius erschüttert derzeit die journalistische Gilde. Aber ist er der einzige?
Das Mediendesaster rund um Claas Relotius
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ist ein deutsches Leitmedium. Wir kennen die vielen, teils ausschweifenden Berichte über alle möglichen Themen. Und man erinnert sich an die „Spiegel-Affäre“, als die Pressefreiheit auf dem Spiel stand. Vielen Menschen kommt „Der Spiegel“ und seine Online-Ausgabe „Spiegel-Online“ abseits jeglicher Kritik vor.
Und dann kam 2017 ein gewisser Claas-Hendrik Relotius als vielversprechender Journalist. Er wurde für seine Reportagen und Berichte mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem zeichnete CNN den Hamburger als „Journalist of the Year“ aus. Das Verlagshaus war stolz wie Bolle, einen Journalisten wie Relotius an Bord zu haben. Und dann kam der Manipulationsskandal.
Es ist ein richtiges Mediendesaster. Inhalte seiner Texte sollen in erheblichem Umfang erfunden worden sein. Interviews waren angeblich fingiert. Wie es klingt, stimmten viele Dinge einfach nicht. Nun ist Relotius gebrandmarkt und als Journalist nicht mehr tragbar. „Der Spiegel“ hat die Manipulation öffentlich gemacht. Aber ist Relotius allein der böse Bube?
„Lügenpresse, halt die Fresse“
Sie kennen alle diese Ausrufe zur „Lügenpresse“. Bei so einem Mediendesaster wie das rund um Claas Relotius darf sich die „Journaille“ nicht wundern, wenn sie mit solchen Tiraden konfrontiert wird. Ich hatte dieser Tage erst von fast richtigen Nachrichten erzählt, dabei dachte ich aber an etwas anderes als ausgerechnet die Spiegel-Geschichte.
Es geht nicht um News. Es geht um journalistische Texte, Reportagen und Portraits. Diese Texte leben von der fühlbaren Nähe, von Eindrücken, von kleinsten Details und all diesen Dingen. Es wird hier gern vom Kopfkino erzählt. Das Thema ist das Storytelling. Und es sind eben Geschichten. Und in der „taz“ steht, dass Geschichten eben auch sehr nah beim Märchen sind.
Unversehens landet jetzt das, was wir gemeinhin als „Qualitätsmedium“ ansehen, in einer Ecke, wo es nicht hingehört. „Breitbart News“, „Politically Incorrect“, aber auch „BILD“, „Express“ und andere biegen sich die Realität zusammen, wie es ihnen passt. Hier hat man den Spiegel eher nicht vermutet. Ein Trugschluss, wie das aktuelle Mediendesaster zeigt.
Ist die Konkurrenz denn besser?
Was heißt „Besser“ im Journalismus? Es ist nun einmal bekannt, dass man zum Beispiel als Prominenter oder Politiker mit den Medien permanent im Fahrstuhl steht. Mit den Medien fährt man hoch in den Olymp. Und mit ihnen geht es auch ganz schnell wieder nach unten. Ein Paradebeispiel war die ekelhafte Nummer mit Christian Wulff.
Damals haben sie alle mitgemacht. Erst, als das Kartenhaus um die Vorwürfe gegen den Mann zusammenfiel, hielten sie an. Aber gleich so, dass sie nun den Betroffenheitskasper mimten. Und da war „Der Spiegel“ genau in der gleichen Kutsche wie „BILD“, „Focus“ und alle anderen. Irgendwo las ich mal: Wenn die Medien es wollen, bringen sie jeden zu Fall.
Deshalb ist wunderbar, dass es auch „ehrliche Nachrichten“ gibt. Und abseits jeglicher Satire dürfen wir nun wie Journalist und Digital-Berater Thomas Knüwer konstatieren, dass der Journalismus im Allgemeinen offenbar ein Problem mit der Wahrheit hat. Und das spielt den Hetzern und Kritikern in die Finger. „Lügenpresse, halt die Fresse“ ist deshalb nicht ganz abwegig.
Schönheit über Wahrheit
Nein, da machen sie alle mit. Auch vielleicht das „Güldengossaer Käseblatt“, wenn es das gäbe. Nur ist der Unterschied zwischen dem „Güldengossaer Käseblatt“ und einem Medium wie „Der Spiegel“ der, dass letzterer gewaltigen Einfluss hat. Und wenn „Die Schönschreiber“ einmal loslegen beim Nachrichtenmagazin, dann sind sie eben nicht mehr zu bremsen,
Man muss einen solchen Artikel mit einem lauten Knall eröffnen und dann Schilderungen einbauen und sich immer wieder steigern. Ob in so einem 40000-Zeichen-Artikel alles wahr ist, spielt dabei nicht so die Rolle. Das ist aber genau das, was man lesen will, wenn man ein Machwerk für fünfeurozwanzich die Woche kauft. Sonst tut es auch Belletristik.
„Der Spiegel“ ist nur ein Beispiel. Im Prinzip machen es alle. Auch das „Güldengossaer Käseblatt“. Nur interessiert es beim Magazin aus Hamburg mehr als sonstwo. Der Journalismus hat ein gewaltiges Stück an Glaubwürdigkeit verloren. In den Zeiten der Kriege um die Deutungshoheit ist aber genau das das eigentliche Mediendesaster.