Michael Kretschmer: Zwischen Görlitz und Berlin

Die Landtagswahl in Sachsen hat die CDU sehr knapp vor der AFD gewonnen. Das ist einzig das Verdienst von Ministerpräsident Michael Kretschmer. Die Deutungshoheit zu der Wahl beanspruchen Menschen für sich, die nichts mit dem Freistaat Sachsen zu tun haben. Darum muss ich als Bewohner des Bundeslandes mal meine Meinung dazu schreiben. Denn ich lasse mich nicht beschimpfen.

Michael Kretschmer hat viel Arbeit

Kennen Sie das Lied „Junge“ von den „Ärzten“? Ich habe zu Beginn der Neunziger Schlagzeug gespielt. Das hatte ich richtig gelernt. Und ich habe da mit einem Punker mit schrammelnder Gitarre allerlei lauten Lärm gemacht. Und irgendwie gab es da auch ein Lied „Junge“. Nur ging das anders als das von Bela B., Farin Urlaub und Rocco Gonzalez. Denn darin hieß es unbeholfen:

Junge, warum hast du die REPs gewählt und nicht die SPD?

Aus „Junge“

Ja, es war dummes Zeug. Aber was soll ich sagen? Die „Republikaner“ zogen mit Pauken und Trompeten in die Landtage von Baden-Württemberg, Berlin und Bremen ein. Rechtsradikale Parolen wurden salonfähig. Dagegen musste man doch etwas machen. Aber in Kumbaya-My-Lord-Manier schrammelten wir halt in einem Keller „Junge“ vor uns hin.

In Sachsen wurde Anfang der Neunziger Michael Kretschmer als Büroinformationselektroniker ausgebildet. Ministerpräsident in Sachsen war zu der Zeit Kurt Biedenkopf aus Ludwigshafen. Der sagte damals, dass die Sachsen immun gegenüber Rechtsextremismus seien. Das war, als in der Sächsischen Schweiz rechte Krawalle waren und im Südraum von Leipzig Ku-Klux-Klan-Dinge veranstaltet wurden.

Sachsen war lange Zeit eine Insel der Glückseligen. Selbst wenn in Leipzig alljährlich Linksextremisten und Rechtsextremisten aufeinander trafen, war doch die Welt weitgehend in Ordnung. Dachte man sich. Und hier hat Michael Kretschmer sehr viel Arbeit vor sich, das eben nicht als so etwas zu bezeichnen.

Mein Schlagzeug flog vor 25 Jahren weg, die Rechtsextremen in Sachsen sind geblieben. Sie sind freilich in der absoluten Minderheit. Aber viele Menschen haben sich ihnen angeschlossen. Nicht wegen der Flüchtlinge, sondern wegen den Landärzten und dem Regionalbus. Und deshalb kommt es zu einer abartig starken AFD in Sachsen.

Ein Wahlergebnis für die Ewigkeit

Ich bin ehrlich: Mir gefällt das Wahlergebnis nicht. So eine starke AFD kann niemand ernsthaft wollen. Aber sie drückt eben aus, dass es große Probleme im Freistaat gibt. Diese muss Michael Kretschmer angehen. Es hilft ja nichts. Dennoch sind nicht alle AFD-Wähler gleich Nazis. Das ist so eine Beschimpfung, die mir enorm missfällt. Das ist das Ergebnis:

ParteiErgebnisVeränderung
CDU32,1-7,3
AFD27,5+17,7
LINKE10,4-8,5
GRÜNE8,6+2,9
SPD7,8-4,6
FDP4,5+0,7
Sonstige9,2-1,2

Vermutlich wird es zu einer so genannten Kenia-Koalition aus CDU, Grünen und SPD kommen. Aber nur, wenn alle Beteiligten über ihren Schatten springen und von ihren Maximal-Vorstellungen abweichen. Sonst kann dies nicht funktionieren. Und so ein Theater wie nach der letzten Bundestagswahl würde wohl Sachsen komplett zerreißen.

Die Politiker müssen ernsthaft zeigen, dass sich nicht nur in Zeiten von Krisen und Katastrophen in die Regionen schauen. Bei den Hochwasser-Katastrophen in der Sächsischen Schweiz und Osterzgebirge waren sie alle da. Davor und danach hatte die Region niemanden interessiert. Stattdessen sollten sich die Leute mal nicht so anstellen.

Ich würde mal unterstellen wollen, dass die Allermeisten die AFD gewählt haben, weil sie einfach gehört werden wollen. Im Kuhkaff am Rande der Welt wurde der Busverkehr eben wieder eingestellt. Autos sollen aber auch bloß keine fahren, weil CO2, you know? Nein, das sind keine rechtsradikalen Themen. Es würde gut passen, aber die Welt ist halt anders.

Junge, warum hast du AFD gewählt und nicht die SPD?

Naja, Sie wissen schon

Mir ist nicht klar, wieso man früher die Republikaner hätte wählen sollen. Aber wenn man Franz Schönhuber so zugehört hatte, war einem klar, dass das ein Nationalist war. Jörg Urban und Ivo Teichmann sind ja anders. Klar, Urban wählt man auch wegen Nationalismus. Aber man wählt hauptsächlich AFD, weil andere Parteien einen nicht mehr wahrnehmen.

Insofern ist die Landtagswahl in Sachsen eine Wahl für die Ewigkeit. Wenn die drei möglichen Koalitionspartner sich nicht zusammenraufen und nicht ernsthaft die Dinge beim Namen nennen und anpacken, fliegt uns Sachsen um die Ohren. Nicht wegen der Nazis, sondern weil es die Menschen einfach satt haben.

Warnschuss!

Gestern kam das Wort „Warnschuss“ auf. Neben Wortmeldungen aus Bayern oder Nordrhein-Westfalen, dass die Sachsen lieber Nazis wählen, war es das von mir am meisten wahrgenommene. Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg, die Michael Kretschmer und Dietmar Woidke denkbar knapp vor der AFD gewannen, seinen ein Signal an den Bund.

Aber welches? Die Bundespolitik darf da gern dreimal raten. Die Medien auch. Ich habe es ja nur an Sachsen mitbekommen. Nehmen wir mal die Braunkohle. „Raus aus der Kohle“ heißt es in Berlin und München. Wie das gemacht werden soll, weiß dort aber niemand. Und es interessiert dort auch niemanden.

Die Ministerpräsidenten der Ostkohle-Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben sich mit der Bundesregierung angelegt, weil das so nicht geht, was man verlangt. Für Berlin sind die Wahlergebnisse für Sachsen und Brandenburg wirklich die letzte Chance auf eine Art Wiedergutmachung. Es wird Zeit, den Osten ernst zu nehmen.

Ich schrieb mal vom Wilden Osten. Ich verlinke den Artikel immer wieder, wenn es darum geht, den Osten zu erklären. Wenn von „Ost-Phobie“ und „Dunkel-Deutschland“ die Rede ist, dann ist das genau so nur dummes Gerede wie Kohls „blühende Landschaften“ zur Wende. Es ist die Rede davon, dass der Osten eine Art politisches Testgebiet ist. Und das darf nicht so weitergehen.

Wurden in anderen Bundesländern die Leute vor immer wieder geforderte Zumutungen gestellt? Nein, und dennoch findet die AFD gesamtdeutsch statt. Nur ist der Osten lauter. Man lässt sich nicht mehr alles gefallen. Hier ist viel kaputt gegangen. Und das muss Michael Kretschmer kitten. Und die Bundesregierung hat die gottverdammte Pflicht, nicht weiter dazwischen zu grätschen.

Das freundliche Sachsen

Ich habe bei Twitter Einträge gesehen, in denen ein Bild von einem am Tisch sitzenden Hund inmitten von Flammen gezeigt wurde mit „Das freundliche Sachsen“ dazu. Ja, lasst uns doch mal freundlich sein. Was die Ausgrenzung gebracht hat, haben wir ja nun gesehen. Diese Strategie hat ja ganz großartig funktioniert.

Ich schrieb vom „gemietlichen“ Sachsen. Wenn Alexander Gauland 2017 ungestraft sagen durfte, dass er sich „unser Land und unser Volk“ zurückholen will, dann müssen wir Sachsen 2019 sagen dürfen: „Finger weg von Sachsen, ihr habt diese Kostbarkeit nicht verdient!“ – Oder so ungefähr. Sie wissen hoffentlich, was ich meine.

Ich hatte mal dazu aufgerufen, das positive Sachsen zu schildern. Zeigt doch mal, was Sachsen so drauf hat! Oder habt ihr sächsischen Blogger einfach keinen Arsch in der Hose? Über 70% der Wähler wollten keinen Jörg Urban als Ministerpräsidenten. Also keinen ewigen Miesepeter. Wieso zum Geier zeigen wir Blogger nicht einfach, dass Sachsen positive Leute sind?

Es kann doch nicht so schwer sein. Michael Kretschmer hat es doch vorgemacht. Ich bin ganz und gar nicht ständig seiner Meinung. Und am Anfang fand ich ihn auch nicht gut. Aber wollen wir weiter maulen? Oder wollen wir etwa tatsächlich mal zeigen, dass das ein gutes Bundesland ist?

Was ich nicht mehr hören und lesen möchte

Sachsen wirbt mit dem Slogan „So geht sächsisch“. Ich möchte nie wieder erleben, dass jemand auf die Idee kommt, Gewalt gegen Minderheiten auszuüben. Ebenso wenig soll irgendwer danach diese Gewalt mit „So geht sächsisch“ kommentieren. Denn das zeigt ein völlig falsches Bild.

„SaxIt“ braucht auch niemand. Ebenso wenig wie ein „Sucksen“. Beides hängt zusammen. Durch die abscheulichen und menschenverachtenden Übergriffe auf Minderheiten. Und das ist ätzend (suck). Deshalb soll Sachsen in Brexit-Manier Deutschland verlassen. Nein, das hilft diesem Bundesland nicht weiter.

Michael Kretschmer braucht alle Unterstützung. Die Kante zwischen CDU und AFD muss hart und undurchlässig sein. Und die CDU muss – ob sie will oder nicht – mit Grünen und SPD zusammen arbeiten. Das wird schwer genug. Alle müssen mithelfen. Auch die Bürger. Auch die Bundespolitik. Kein Mensch braucht dann solche Störfeuer wie eben genannt.

Ach, was der Uhle quatscht!

Nein, keine Sau muss auch nur ein Wort von dem glauben, was ich in diesen knapp anderthalb tausend Worten zusammen geschrieben habe. Jeder daher gelaufene Dummschwätzer darf gern behaupten, dass die Sachsen allesamt Nazis sind, Michael Kretschmer ein Nichtskönner ist und Blauhelmtruppen an die Elbe müssen.

Was ist damit gewonnen? Irgendeine Schlacht? Wurde der „Endgegner“ besiegt? Was bringt so etwas? Oder dient das nur dazu, sich wegen irgendwelcher schön gedrechselter Worte in Münster, Köln, München oder Berlin einen runter zu holen? Ihr Besserwisser tut das doch: alles besser wissen. Dann wisst ihr ja auch, dass das einfach nur gequirlter Mist ist.

Ja, Nazis sind Nazis sind Nazis. Ja, Nazis wählen AFD. Aber nicht jeder, der AFD wählt, ist ein Nazi. Viele wissen halt, dass immer besonders auf die AFD geguckt wird, egal wie gut oder schlecht wer anderes ist. Um sich Gehör zu verschaffen, dass nun auch die letzte Schule in der Verwaltungsgemeinschaft geschlossen wurde, machen sie ihr Kreuz bei den Blaubraunen.

Ihnen ist klar, dass damit nichts besser wird. Ihnen ist aber auch klar, dass man genauer hinschaut, weil AFD, you know? Jetzt haben künftige Landesregierung und die Bundespolitik nur eine einzige Aufgabe: Verspielt nicht den winzigen Minikredit. Lasst die Leute nicht weiter hängen. Und alle Besserwisser auf der Welt: Haltet einfach mal die Klappe.

Danke.

2 Replies to “Michael Kretschmer: Zwischen Görlitz und Berlin”

  1. „Nicht wegen der Nazis, sondern weil es die Menschen einfach satt haben.“ Was ist denn „es“?

    Dass es ungleiche Löhne für gleiche Arbeit gibt?
    Dass es eine beschissene Infrastruktur gibt? (Bäcker, Metzger, Ärzte fehlen)
    Dass es so viele junge Leute woanders hinzieht?
    Dass die Lebensleistung nicht hinreichend geschätzt wird?
    Dass der Bus nur zweimal am Tag fährt?
    Dass zu viele Fremde im Land sind?
    Dass die Grenzen nicht gesichert sind?
    Dass die Kriminalität zu hoch ist?

    Für all die Punkte lassen sich in manch anderer Region Deutschlands Entsprechungen finden. Vielleicht treffen nicht alle gleichermaßen zu. Aber ein Honiglecken ist das Leben in manchen Gegenden des Landes auch nicht.

    Von mir aus können die Sachsen oder Brandenburger für die AfD stimmen. Rund 1/4 der Wähler haben das jetzt gemacht. Ob sie es wollen oder nicht, sie setzen einen unglückseligen Trend. Weil sie nicht gehört oder geschätzt würden, hört man sehr häufig. Als ob Politiker mehr auf ihre Bürger im Westen hören würden. Sie stehen in einer Gesamtverantwortung, was bei Gott nicht einfach ist.

    Was tun wir? Wir meckern und treffen unsere Wahlentscheidung. Das ist wohl das wichtigste Recht in der Demokratie. Wenn wir diese Demokratie aber preisgeben und Rechtsextreme in die Verantwortung wählen, hört der Spaß auf. Wenn es stimmen sollte, dass die Sachsen und Brandenburger nicht Nazis wollen, sondern ihrem Protest Ausdruck verleihen wollen, ist das jetzt vorliegende Ergebnis ein Desaster und besonders in dieser Hinsicht.

    Wenn in Sachsen und Brandenburg (in Sachsen gilt das umso mehr) jetzt eine Koalition zustandekommen sollte, die die Grünen einschließt, so ist deren Stabilität sehr zweifelhaft. Die Forderungen nach einem früheren Kohleausstieg sind für die Grünen elementar. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie ohne Zugeständnisse in diese Regierung eintreten? Was wird diese Koalition von dem umsetzen können, was im Interesse der sächsischen BürgerInnen nötig und dringend wäre? Ich fürchte, es wird sehr wenig sein und wozu wird das führen? Vor allem, wenn man bedenkt, dass die finanziellen Spielräume Deutschlands kleiner werden, weil die Konjunktur eine Delle bekommt. Die Sorge um Deutschland spielt bei denen eine Rolle, die auf die politische Entwicklung im Osten schauen. Aber natürlich ist es das Recht eines Demokraten, die Entscheidung zu treffen, die er richtig findet. Nur, dass viele von denen, die die AfD wählen mit der Demokratie gar nichts am Hut haben. Sie denken, sie können darauf verzichten und es ginge ihnen dann besser. Wenn das mal nicht die größte Fehleinschätzung in der Geschichte seit 1989 ist.

    1. Naja, ich glaube, diese Wahl war deshalb so polarisierend, dass es nur noch um „Wir gegen die“ ging, weil so viel auf dem Spiel stand. Stell dir mal vor, in beiden Bundesländern wäre die AFD stärkste Kraft geworden! Und das nur, weil man die Regionen nicht mehr mitnimmt. Ich denke nicht, dass die CDU nach wie vor die beste Lösung für Sachsen wäre. Aber sie ist im Moment die einzige, die das Land vor dem Zusammenbruch bewahren kann.

      Ja, in den „Altlasten-Ländern“ (sorry für diesen Begriff, der stammt aber nicht von mir) gibt es ähnliche Probleme wie hier. Vielleicht nicht mit so einer permanenten Überforderung mit Veränderungsdruck wie in Mittelsachsen oder in der Lausitz. In den westlichen Bundesländern gibt es aber eine viel stärkere Parteienbindung als hier. Wer dann noch dazu behauptet, irgendwas besser zu können als die amtierende Landesregierung, der sammelt hier automatisch mehr Punkte als gedacht.

      Jetzt ist erstmal ein Anfang gemacht, dass man wieder auf den Boden der Vernunft zurück kehrt. Und wenn die künftige Regierung Kenias Kenia-Koalition sinnvolle Arbeit im Sinne von Bewahren, Einen, Erneuern leistet, dann wird es die AFD in 5 Jahren bedeutend schwerer haben. Dann nämlich bleiben noch die vierkommairgendwas Prozent übrig, die als rechtsradikal gelten. Die gibt es aber auch woanders.

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