Da streiten sie nun mit immer absurder wirkenden Maßnahmen: Auf der einen Seite die Verlagskonzerne mit ihrer bloggenden und feuilletonisierenden Redakteurs-Kavallerie, auf der anderen Seite die Internet-Allmacht Google.
Da die Geschichte immer grotesker wird und immer weniger Internet-Teilnehmer wirklich interessiert, kann man wohl mit Fug und Recht behaupten: Da haben beide Seiten den Blick auf das Wesentliche verloren.
Der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Stefan Plöchinger, schreibt einen Tumblr-Blog. In einem seiner letzten Beiträge hat er ein Video verlinkt, dass Sie sich unbedingt einmal anschauen sollten. EINFACH MAL HIER KLICKEN.
Es geht um einen Test zur selektiven Wahrnehmung. Im Video ist sie sehr genau erklärt. Wenn man Ihnen erzählt, Sie sollen sich auf etwas spezielles konzentrieren, bemerken Sie andere, vielleicht viel wichtigere Dinge nicht. Im Video sollen Sie zählen, wie oft sich die weiß gekleideten Personen den Ball zuwerfen. Und? Wie viele sind es?
In der aktuellen Diskussion um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage sind Erdrutsche zustande gekommen. Ich denke mittlerweile, dass sich keiner, der sich intensivst mit der Materie befasst und ununterbrochen darüber schreibt, mit Ruhm bekleckert hat. Ich meine, man kann sich an der Diskussion beteiligen. Das ist gut und richtig. Aber wenn die Diskussion dahin geht, dass es nur noch um Grabenkämpfe geht und unsäglich viele Leute offenkundig nicht die Wahrheit erzählen, dann kann man sich eben diese eigentlich wichtige Diskussion auch schenken.
Im Großen und Ganzen haben aber alle Hardcore-Beteiligten eines vergessen: Den Blick auf das Wesentliche. Und was bitte ist das? Der Nutzer.
Ob man nun Leser einer Zeitung / Online-Zeitung oder Leser eines Blogs oder Benutzer der Internet-Suche ist, der Empfänger der Leistung ist generell erst einmal Nutzer. Und den hat man irgendwo in der Pampa an einer Bushaltestelle stehen lassen.
Der Nutzer der Internet-Suche glaubt vielleicht, er nutze das vollständige Internet. Der Nutzer denkt vielleicht, er würde das vollständige Informationsangebot erhalten, wenn er über eine Suchmaschine anhand von Begriffen nach Informationen sucht. Aber dem ist nicht so. Zumindest Google hat eine eigene Matrix zusammengestrickt und schickt sogar Agent Smith mit auf den Weg. So etwas nennt man Filter Bubble. Nein, liebe Internet-Nutzer, ihr nutzt kein vollständiges Internet, sondern das, was Google und Co. als richtig erachten.
Und dieses Internet, was Google für den einzelnen Suchmaschinen-Nutzer zusammenstrickt, enthält natürlich auch Nachrichten-Links. Wird eine Nachricht veröffentlicht, schlägt die Suchmaschinen-Optimierung zu und sorgt dafür, dass Google und Co. möglichst weit vorn diese Nachrichten-Artikel auflistet. So wird dafür Sorge getragen, dass auch möglichst viele Suchmaschinen-Benutzer den Artikel finden und ihn besuchen. Das erhöht die Besucherzahlen und damit die Werbeeinnahmen.
Und jetzt nehmen wir einmal an, dass Nachrichten-Artikel in der Suche auftauchen, die nach Google-Ermessen zusammengestellt wurden. Und dann nehmen wir an, in der gleichen Suche tauchen auch Blog-Artikel auf. Man müsste sich freuen, dass Google für einen Benutzer der Suchmaschine den Filter so aufgeblasen hat, dass man darin vorkommt.
Mir ist es durchaus recht, dass bei Links zu Artikeln auf dieser Webseite ein kurzer Anriss zu lesen ist. Ob der Anriss, also das berühmte Snippet, nun Information genug ist oder nicht, lasse ich mal dahingestellt. Den Verlagen ist das nicht recht, was sich ja in der aktuellen Diskussion zeigt. Und damit jeder weiß, wovon ich hier schwafle, so etwas wie im folgenden Bild ist das Streitobjekt:
Und? Sind Sie schlauer geworden, was sich unter der Überschrift befindet? Oder wollen Sie dann doch lieber den Artikel aufsuchen? Und genau das ist der eigentliche Zankapfel.
Die Verlage argumentieren, dass sie das Leistungsschutzrecht benötigen, weil Google sich ungefragt an den angeblich so hochwertigen Artikeln vergreift. Dabei ist doch die Sache ganz einfach: Die Verlage veröffentlichen in ihren Online-Ausgaben Agenturmeldungen. Das wird offenkundig, wenn Sie nach irgendwelchen populären Themen suchen. Nun sind die Artikel in den Online-Nachrichten so gestrickt, dass außer der eigentlichen Agenturmeldung sich eigentlich nur die Überschrift und ein paar Nuancen von denen in anderen Nachrichtenartikeln unterscheiden. Die Verlage nennen das Qualitätsjournalismus. Und für die Snippets zu den an sich abgeschriebenen Agenturmeldungen wollen sie dann Geld haben. Also wollen sie eine Subvention auf Agenturmeldungen.
Google will das Spiel natürlich nicht mitspielen. Google und seine komische Kampagne „Verteidige dein Netz“, das bewirkte dann schon Stirnrunzeln und einigen Zorn. Man sollte unterschreiben und solchen Blödsinn. Damit wollte Google gegen die Verlage mobil machen. Nein, ich habe da nicht mit gemacht. Und warum? Genau, es ist Blödsinn.
Sofort schießen die Verlage zurück. Und so endet alles in einem Grabenkampf. Irgendwie sieht das deutsche Internet derzeit aus wie Gaza und Tel Aviv in den letzten Tagen. Und der unbeteiligte Nutzer? Der steht daneben, die Hände in den Hosentaschen, und fragt sich, was das soll.
Liebes Google, liebe Verlage, ihr zeigt derzeit wunderbar auf, dass euch eure Nutzer herzlich egal sind. Euch geht es nur um eure Interessen. Und das Schäbige an der Angelegenheit ist leider, dass ihr auch noch vorgaukelt, ihr würdet alles zum Wohl des Nutzers tun. Dann macht das endlich auch mal.
Interessante Themen und Nachrichten, die wirklich selbst recherchiert sind und die nicht einfach die Agenturen dieser Welt nachplappern, die haben nichts im Feuilleton zu suchen. Die gehören bitteschön prominent platziert. Nachrichten sollten so recherchiert und geschrieben sein, dass es da wirklich jemanden geben könnte, den das Geschriebene auch interessiert. Dann werdet ihr auch gelesen. Und dann könnt ihr Verlage vielleicht auch ein Bezahlmodell etablieren.
Und liebes Google, mach endlich deine Filter Bubble weg. Ich als Internet-Nutzer möchte nicht nur einen Ausschnitt des Internet zur Verfügung haben, sondern das komplette. Denk nicht, dass der Internet-Nutzer völlig bekloppt ist. Was bringt es euch, dem Nutzer vorzugaukeln, ihr würdet alles präsentieren?
Andernfalls sollten sich die Internet-Nutzer vielleicht überlegen, ob sie ihre Informationen nicht doch a) über eine andere Suchmaschine und b) über Blogs statt Verlagswebseiten einholen. Die Suchmaschinen-Unterschiede zeigen sich anhand der folgenden beiden Bilder. Es geht bei beiden um die Suchbegriffe „Leipzig“ und „Weihnachten“. Einmal wurde mit der Google Suche und Google Chrome und einmal mit der Bing Suche und dem Internet Explorer gesucht. Bei beiden wurde die Suche auf „News“ beschränkt. Die Unterschiede sind bemerkenswert:
Diese Bilder zeigen doch, dass es durchaus andere Ergebnisse geben kann. Man muss sich nicht auf Google verlassen. Genauso kann man davon ausgehen, dass es auch Geschichten zu einem Thema gibt, die nicht durch Agenturmeldungen abgedeckt werden. Und die werden unter Umständen von Blogs erzählt.
Der Nutzer erwartet nicht, dass mit möglichst wenig Aufwand der möglichst größte Profit erzielt wird. Oder dass mit irgendwelchen Fallstricken zusätzliche Gebühren eingetrieben werden können. Der Nutzer erwartet, dass er sich im Internet zu Themen vollumfänglich informieren kann. Ohne Filter Bubbles, ohne unnötiges, tausendfaches Nachplappern.
Wenn ihr das hinbekommt, liebes Google und liebe Verlage, dann braucht niemand mehr ein völlig absurdes Gesetz, das Dinge schützen soll, die schon durch andere juristische Mechanismen geschützt sind. Und wie gesagt: Diese Snippets interessieren doch nicht wirklich. Wenn einen Leser eine Nachricht interessiert, dann liest er sie eh. Dazu muss es aber erst einmal eine interessante Nachricht sein.
Darum ist eure Aufgabe jetzt, liebes Google und liebe Verlage, dem Bären im oben verlinkten Video mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Er ist euer Nutzer und das Wesentliche.