Das kann ja was werden, wenn der Uhle jetzt anfängt, Ostdeutsche zu fragen, ob sie doof sind. Dabei fragt er ja nach einem „wir“, nicht „sie“. Wo kommen wir denn da hin, wenn man über DIE DA spricht, aber nicht mit ihnen. Ich glaube, das ist ein riesengroßer Fehler, der derzeit so richtig schön in „Good Old Germany“ um sich greift. Und der fällt uns immer mehr auf die Füße. Ost- und Westdeutschen, also allen Deutschen. Also tut euch den Gefallen und hört auf, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Gibt es etwas, das Ostdeutsche ausmacht?
Oben seht ihr den Trabant 601 s deluxe. Nicht einfach nur „dor Trabbi“. Sondern DER Trabant. Mit Chrome-Stoßstange und all dem Kram. Das Auto kostete neu in der DDR damals wohl so um die 10.000 DDR-Mark, nachdem man um die 10 Jahre darauf gewartet hatte. Nicht viel, höre ich euch aus dem Ruhrgebiet palavern. Bei um die 500 bis 1000 DDR-Mark durchschnittliches Einkommen sehe ich das ein wenig anders.
Und wie war das? „Meine Zündkerze im Golf ist kaputt, wo ist die nächste Werkstatt?“ im Vergleich zu „Jochen, hast du an den Austausch-Motor für den Trabbi gedacht?“. In der DDR gab es ja nüscht, alles musste man sich über Beziehungen ranschleppen. Darüber hinaus war aber vieles gar nicht so schlecht organisiert: Die Polikliniken, die Kindergärten, der Öffentliche Nahverkehr mit Zügen ins tiefste Nirgendwo und so weiter und so fort.
Und all das wurde plattgemacht. Und es hieß immer: Wir Ostdeutsche haben uns gefälligst unterzuordnen. Ich klage selten über solche Themen. Aber ich kann genau das eben auch bestätigen. Ob es die Scharlatane waren, die einen Kurierdienst vorgaukelten und mich und meine damalige Freundin in die Drückerei getrieben haben. Ob es die Metallbuden in Bayern waren, die über Schlosser aus dem Osten immer abfällig gelacht hatten. Oder die Besserwisser, die immer erzählten, wir Ostdeutsche wären einfach nur zu blöd.
Integriert doch erstmal uns
In ein paar Tagen beginnen für Ostdeutsche Landtagswahlen. Ich sehe es schon so kommen: „Sachsenland = Naziland“. Freunde, ich lasse mich bestimmt nicht als Nazi beschimpfen, nur weil ich aus Sachsen komme. Vor allem nicht von Leuten, die nichts, aber auch gar nichts mit den neueren Bundesländern am Hut haben und vielleicht sogar noch nie hier waren. Was genau befähigt diese Leute zu irgendeiner Meinung? Weil sie aus dem allwissenden Westen sind?
Und genau das ist das Problem. Petra Köpping, SPD, Sozialministerin in Sachsen, eine ausgesprochen intelligente und fähige Frau, kam 2018 mit einem Buch um die Ecke, was da „Integriert doch erstmal uns“ hieß. Schon allein dieser Satz sagt alles aus, worum des hier geht. Es gibt viele Ostdeutsche, die sich schlichtweg übergangen fühlen. Die so genannte Deutsche Einheit ist noch lange nicht ausgestanden, da hat man sich schon die nächsten Mammut-Aufgaben aufgehalst.
Und immer hieß es: Die Ossis sollen sich mal nicht so haben. Ich denke, das ist der Kern, warum im Osten die Scharlatane von AFD und BSW so leichtes Spiel haben und sich so einfach als Heilsbringer verkaufen können. Ich meine, der Osten findet ja nicht mal in den Medien positiv statt: Kaum ein Film und keine Serie, die im Osten spielt, beinhaltet ostdeutsche Mundarten. Von der Politik fange ich erst gar nicht an. Und da sollen sich Ostdeutsche dazugehörig fühlen?
Aber wir sind doch nicht doof
Wir Ostdeutsche sollten uns nicht verscheißern lassen. Die Rattenfänger der AFD sind größtenteils gescheiterte Seelen aus dem Westen, wie der ehrenwerte Herr Höcke. Die wurden mehr oder weniger importiert. So, wie der einflussreiche Neurechte Götz Kubitschek eben nicht aus dem Osten, sondern aus Schwaben kommt, und dennoch einen auf „Wir Ostdeutsche“ macht. Lasst euch nicht veralbern. All diese Leute wollen bestimmt nichts gutes für uns Ostdeutsche.
Ja, ich weiß, die Ampel und die Union sind auch nicht besser. Mag sein. Aber sie sind das kleinere Übel. Die Lebenswirklichkeit für viele Ostdeutsche sieht nun einmal so aus, dass nichts einfach ist. Warum soll dann die Politik einfach sein? Und deshalb halte ich auch nichts davon, den Klopfern einfacher Sprüche einfach so zu glauben. Allerdings glaube ich leider, dass die Stichworte Mannheim und Solingen im September für Ostdeutsche eine zentrale Bedeutung haben werden. Und das ist es, was mir dabei richtig Sorgen macht.
Nein, wir Ostdeutsche sind nicht doof. Lassen wir uns also nicht schon wieder hinter die Fichte führen, indem wir den einfachen Reden von AFD und ähnlichen Konsorten glauben. Ich weiß, dass das nicht so einfach ist. Versuchen wir es aber vielleicht. Mit solchen Gestalten wird es am Ende jedenfalls nicht besser für uns. Oder glaubt das irgendwer?
In deinem Blogpost wundert mich der Link unter „dass nichts einfach ist“, der so gar nicht zum Tenor deines Textes passt!
Ich (Wessi, seit 1980 in Berlin wohnend) glaube, dass die verschiedenen pauschalisierenden Analysen der Meinungen und Befindlichkeiten in den neuen Bundesländern eben an dieser Pauschalisierung kranken: Wie überall gibt es „so’ne und solche“. Allerdings hab ich auch den Eindruck, dass die parlamentarische repräsentative Demokratie dort nicht so gut angekommen ist, bzw. nicht wirklich als „demokratisch“ erlebt wird – wundert auch nicht wirklich, angesichts der Geschichte. Ich zitiere mal aus dem umfangreichen Artikel „Fremder Osten: Deutschland zwischen Wiedertrennung und Putinland?“ von Stefan Laurin:
„Während die Bejahung der Demokratie als Idee im Osten recht stark ist (über 90 Prozent), rauschen die Werte in den Keller, wenn man fragt, ob die Demokratie in der Bundesrepublik gegenwärtig gut funktioniert (nur noch knapp über 40 Prozent Zustimmung).“ Viele hätten ein ganz eigenes Politikverständnis ausgebildet, bei dem Vorstellungen des ursprünglichen und direkten »Volkswillens« im Zentrum stehen: „Dieser (nur) imaginierte Gesamtwille soll die Politik bestimmen, nicht das Parteienkarussell samt den ihm eigenen Formen der Personalauswahl, der innerparteilichen Austarierung von Interessen und der strategischen Positionierung. Politiker und Politikerinnen sollen das tun, was die Bevölkerung verlangt. Mit der Einbeziehung anderer Aspekte – etwa verfassungsrechtlicher Selbstbindungen oder organisierter Interessen – werde der »Wille des Volkes« verfälscht.“
https://www.ruhrbarone.de/fremder-osten-deutschland-zwischen-wiedertrennung-und-putinland/236688/
Wieso? Was stört dich an dem Link? Ich finde, der passt schon zum Kontext des Themas.
Ja, an dem Artikel von Stefan Laurin ist viel dran. Es gibt durchaus Menschen, die ich in meinem Umfeld so mitbekomme, die bei jeglicher Art von Kompromiss-Findung irgendwas von Geschacher vermuten. Man versteckt sich gern hinter der Phrase „Wir sind das Volk“ und akzeptiert nichts außer dem reinen „Volkswillen“ mehr. Dabei ist ja noch nicht mal verhandelt, was das sein soll, da ja Verhandlungen auch immer der Kompromiss-Findung dienen und von daher Geschacher sind.
Das ist ein Teufelskreis, in den sich da einige Menschen begeben haben. Und ich habe ehrlich gesagt keine Idee, wie man sie da herausbekommt.
Puuh, lieber Henning. Da haste einen raus gehauen. Natürlich seid „Ihr Ostdeutsche“ nicht doof. Und es gibt genug Leute, die ich wie Dich schätze. Ich gebe aber zu, dass ich bei meinen Besuchen in den letzten Jahren schockiert war von Aussagen und Stimmung und mich immer wieder an Bekannten und Freunden aufgerichtet habe. Die anstehenden Wahlen und die potentiellen Ergebnisse machen mir Angst um unsere Demokratie. Leider scheint man vor lauter Emotionen und Ressentiments mit vielen auch gar nicht mehr vernünftig reden zu können. Das ist sehr bitter.
Und nicht nur by the way: Es gibt sone und solche, auch bei uns, auch bei mir direkt vor Ort, als ich an der Fischtheke einkaufe.
Und „die Vernünftigen“ hört man leider zu selten oder sie sitzen noch daheim am Küchentisch.