Mitteldeutschland hat gewählt und alle wissen es besser

Herzlich Willkommen zum „Wahl Spezial“ live aus Mitteldeutschland. Leute, ich habe so den Kanal voll, seitdem die Wahlergebnisse raus sind. Und zwar nicht nur wegen den Resultaten an sich, sondern auch, wie damit umgegangen wird. Wie kommt man auf die Idee, dass irgendein Schnösel der CSU, die in Mitteldeutschland gar nicht angetreten ist, irgendwas sinnvolles zur Einordnung beitragen kann? Gucken wir uns das mal an.

Wahlen in Mitteldeutschland

Ich will gar nicht so sehr auf exakte Zahlen eingehen, da es mir schwer genug fällt, überhaupt die Ergebnisse so für gut zu halten. Aber sie sind so, wie sie sind. Und deshalb ist es so, dass

  • In Thüringen die Rechtsradikalen der AFD vor der CDU, dem Bündnis Sahra Wagenknecht und der Linkspartei die Wahlen gewonnen haben. So, wie es aussieht, ist damit Thüringen komplett unregierbar geworden.
  • In Sachsen die CDU hauchdünn vor der AFD und lang vor BSW, SPD und Grünen die Wahlen gewonnen hat. Auch hier gilt: Es ist kompliziert.

Das einzig gute an dieser Katastrophe ist die Wahlbeteiligung: Jeweils knapp 75% aller Wahlberechtigten sind in Mitteldeutschland – also in Sachsen und Thüringen – zur Wahl gegangen. Und die haben den Parteien jetzt fette Nüsse zu knacken gegeben. Sie müssen alle irgendwie in Bewegung kommen. Ob das gelingt? Keine Ahnung. Aber irgendwas in die Richtung muss passieren. Sonst gibt es demnächst richtig Ärger.

Und warum das jetzt alles so kompliziert ist? Naja, man will verständlicherweise die Nazis von der Regierungsbildung ausschließen. Damit ist bisher zumindest in Thüringen keine Koalition in irgendeiner Form möglich. In Sachsen einzig und allein Koalitionen unter Beteiligung der Wundertüte BSW. Ich sag ja: Es ist kompliziert. Nun ist es so, dass alle sich auf das Gegenüber zubewegen müssen. Ob das dann irgendwann sogar AFD heißen muss, weiß ich nicht. Ich hoffe es nicht.

Wie konnte es so weit kommen?

Nein, es gibt hier keine Ursachenforschung. Ich muss aber einmal ein bisschen abmotzen. Wie kommen Schweizer Zeitungen auf die Idee, die Lage in Mitteldeutschland beurteilen zu wollen? Warum ist in Erklärbär-Runden kaum jemand aus Mitteldeutschland zugegen? Wieso muss das ZDF zur „Elefantenrunde“ mit der CSU eine Partei einladen, die in diesen Breiten gar nicht zur Wahl stand? Und überhaupt: Wie kommen Generalsekretäre aus Nordrhein-Westfalen auf die Idee, Sachsen und Thüringen erklären zu wollen?

Zählen die Ost-Politiker jetzt gar nix mehr? Und ich will jetzt von den Allwissenden aus Münster oder wo einem auch immer die Sonne aus dem Arsch scheint nichts hören von wegen: Im Osten sind doch eh alles Nazis. Ist das so? Euch haben sie gewaltig ins Gehirn geschissen, wenn ihr das einfach so behauptet, ohne euch selbst die Zungen abbeißen zu wollen. Warum?

  • In Sachsen leben 4.089.467 Menschen. Davon haben 794.176 Menschen die Nazis gewählt, das sind 19,2%
  • In Thüringen leben 2.122.335 Menschen. Davon haben 408.011 Menschen die Nazis gewählt, das sind ebenfalls 19,2%

Es ist immernoch die Minderheit, die die Nazis wählt. Aber zeigt nur mit den Fingern auf „die unbelehrbaren Schwachmaten im Osten“. Es ist am Ende leider tatsächlich so, dass Landesthemen keinerlei Rolle gespielt haben. Es war die Asylpolitik und dergleichen, die eigentlich nur im Bund entschieden wird. Und es war der jämmerliche Zustand der Ampel-Koalition mit einem jämmerlichen Kanzler-Darsteller.

Wie es so weit kommen konnte, dass die Nazis in Mitteldeutschland so groß wurden? Vielleicht hat er hier eine plausible Erklärung dafür. Es bringt jetzt nichts, wenn die Besserwisser der CDU NRW den Thüringern und Sachsen die Welt erklären. Vielleicht hat ja sogar Michael Kretschmer mit seinem Gelaber über den „sächsischen Weg“ mehr Recht als der weltfremde Carsten Linnemann. Man sollte vielleicht darüber nachdenken.

Nehmt es ernst

Ich ahne, es wird katastrophal werden, was man so als Aufarbeitung angekündigt hat. Am Ende werden es „Die Ausländer“ sein, die dafür verantwortlich dafür sind, dass „Der Ostdeutsche“ so gewählt hat. Es ist doch im Prinzip immer so. Und dann geht es weiter mit all dem weltfremden und realitätsverweigernden Geblubber wie in den letzten 10, 20 Jahren. Und nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr werden wieder alle völlig entgeistert sein, wie gewählt wurde.

Leute, versucht es doch wenigstens mal, die Leute ernst zu nehmen. Ich meine, von Kretschmer kann man halten, was man will. Aber es ist noch gar nicht so lang her, da lag er weit hinter Orban – nee, Urban. Er und Petra Köpping haben aber zumindest so geredet, dass es die Sachsen nachvollziehen wollen. Deshalb können die beiden auch weitermachen, nur mit einer anderen dritten Kraft, da die Grünen in Sachsen ein Totalausfall waren.

Aber am Ende ist es doch tatsächlich so: Die rund 30% AFD in Sachsen sind vor allem durch Union + SPD + FDP + Grüne im Bund zustande gekommen. Ein Teil rechter Wähler hatte Sachsen auch ohne den ganzen Tanz, es wurde aber durch das Kasperletheater in Berlin noch viel, viel schlimmer. Mit einem „Wir müssen die Politik besser erklären“ kommt dann Frau Esken nicht weiter. Denn damit impliziert sie, dass wir in Mitteldeutschland alle ein bisschen unterbelichtet sind.

Und das ist es, was ich am Ende meine: Euer erbärmliches Othering hat vieles hier in Mitteldeutschland genau in die Richtung gespült, in die es nun getrieben ist: Die komischen Sachsen, die braunen Thüringer. Sorgt für Identität, dann kommen die Leute auch wieder in die Mitte der Gesellschaft. So lang in der SOKO Leipzig aber niemand sächsisch redet und im Bundestag von Mitteldeutschland wie von Simbabwe geredet wird, so lang wird es hier 30% AFD-Wähler geben. Oder anders gesagt: „Integriert doch erstmal uns!“ (Petra Köpping, 2018)

2 Replies to “Mitteldeutschland hat gewählt und alle wissen es besser”

  1. Die Welt ist untergegangen. Freuen wir uns auf die Nächste. Apropos: Ich freue mich schon tierisch drauf zu sehen, was aus der Politik der AfD denn werden wird und wie viele der Denkzettelwāhler sich dann wundern.

  2. Eine der qualifiziertesten Wortmeldungen, die ich bisher gelesen habe. Die „Ossis“ sind nicht doof, und sie sind auch keine Nazis. Der Nazi-Bodensatz ist in ganz Deutschland maximal bei 3%. Ziemlich gleichmäßig verteilt. Die Leute, die die AfD gewählt haben, haben das in ihren Augen kleinere Übel gewählt. Dazu wurden sie in den letzten 30 Jahren erzogen. Es gab immer nur die Wahl zwischen Lügnern und Betrügern unterschiedlicher Farbgebung. Die AfD und das BSW hatten noch keine große Gelegenheit sie zu bescheißen. Die wurden nicht gewählt, weil sie besser waren, sondern weil sie den Wählern noch nicht in den Vorgarten gekackt haben. Die Wessis haben seit 1945 gelernt, dass sie, egal wo sie hintreten, nur in Mist treten und wählen dann die, die ihnen den buntesten Mist versprechen. Auch wenn hinterher sowieso „Alles Lüge“ ist. „Was, Du glaubst einem Wahlversprechen? Gröööööl!“ Warum wurden die Grünen noch von irgendjemand gewählt, nachdem sie einen Angriffskrieg gegen Serbien befohlen haben? Ernsthaft? Warum wählt man Schwerverbrecher? Die jetzt auf die Leute im Osten zeigen und behaupten „Alles Nazis…“ Die Ossis haben das einzige Richtige getan: die Rüstungslobbyisten aus den Landtagen gefegt….

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