Europa IT? Denkbar oder Blödsinn?

Der Kontinent, in dem über 95% der Besucher meinen Blog lesen, macht sich ja derzeit ziemlich gerade. Was wäre also mit einer Europa IT? Können wir in Europa das liefern, was wir derzeit aus Asien und aus den USA an Informatik beziehen? Bei manchen Dingen macht man sich da eher wenig Gedanken, manche Dinge sind aber – weil wir Europäer ziemlich bequem sind – schon ein ziemliche Kraftakt, der uns da bevorsteht. Aber er ist dann vielleicht auch eine Chance, sich endlich mal abzunabeln.

Was ist mit Europa IT gemeint?

Mir ist ja unterm Strich egal, wie man das Ganze nennt. Aber weil alle Welt immer wieder vom „Deutschland-Takt“, der „EU Cloud“, dem „sächsischen Weg“ und all diesem Bullshit erzählt, habe ich halt die „Europa IT“ ins Feld geführt. Was würde das unterm Strich bedeuten? Können wir Europäer das überhaupt? Oder haben wir uns auf Gedeih und Verderb den Amerikanern ausgeliefert? Hängt Europa am Tropf von Microsoft, Oracle, Apple, Google und Amazon?

Ich meine, wir müssen uns da schon gerade machen. Wenn der Irre im Weißen Haus mit Zöllen um sich wirft, kann es sein, dass für große Teile der europäischen Wirtschaft die Nutzung von Microsoft 365 unerschwinglich wird. Und da muss es Alternativen geben. Aber geht das? Es geht ja nicht nur um die Cloud. Es geht um Betriebssysteme, um Hardware, um Anwendungen, Server-Systeme und dergleichen mehr. Gucken wir mal, wie viel von der Europa IT überhaupt möglich wäre.

Betriebssysteme: Weder Windows, noch MacOS?

So lang ich denken kann, hatte ich mit vier Betriebssystemen zu tun: dem Z9001-OS der KC-Computer der DDR, dem AmigaOS des Commodore Amiga, ein bisschen SuSE Linux und extremst viel Windows. Seit Jahren erzählt man sich in Europa die Geschichte vom europäischen Betriebssystem. Aber außer Ubuntu Linux und vielleicht noch ein, zwei anderen Linux-Derivaten fällt einem da nicht viel ein. Vor allem, was konkurrenzfähig zu den Platzhirschen ist.

Ich meine, „Limux“ – also die Ausstattung der Münchner Stadtverwaltung mit Linux – ist damals krachend gescheitert, weil das eben alles nicht so funktionierte wie Windows. Man muss nun einmal eine echte Alternative schaffen. Ich habe vor kurzem einer mir bekannten Person ein Notebook mit Ubuntu installiert. Das funktioniert tadellos. Aber eben für den Heimgebrauch. Und hier sehe ich arge Probleme im Geschäftsumfeld.

Ich glaube schon, dass ich das altbekannte Domänenkonzept, so wie halt Unternehmensnetzwerke funktionieren, auch mit Linux und Co. aufziehen kann. Aber es gibt eben auch Gründe, warum das nicht passiert. Und jetzt, nachdem uns Microsoft immer mehr in ihre Cloud reinkomplimentieren will, frage ich mich, wie leidensfähig Unternehmen noch sein müssen. Irgendwann muss doch mal jemand umsteuern. Oder ist das wirklich alles zu schwierig?

Anwendungssoftware: Zum Teufel mit Office?

Jaja, ihr wisst das Alles: Ich finde die ganze Nummer mit Microsoft 365 gar nicht so schlecht. Zeigt mir doch mal eine echte Alternative. Und nein, Open Office, Libre Office und dergleichen sind das eben nicht. Denn es fehlt der Server dabei. Oder sagen wir es klipp und klar: Kennt ihr eigentlich Office 365? Arbeiten in der Cloud, ein Login in der Cloud, Exchange Online, Datenbanken, Zusammenarbeit, IOT, Security und so weiter und so fort, und das aus einem Guss? Kennt ihr?

Mir geht es doch nicht darum, auf irgendeiner Büchse ein Linux zu installieren, das ein Open Office, einen Firefox und einen Thunderbird mitbringt. Dass das geht, ist mir völlig klar. Mir geht es darum, dass sich die ABC GmbH aus Gründen der weltweiten Produktion in die Cloud begibt und vollständig weiterarbeiten kann, mit kompletter Korrespondenz, User Management, Datenbanken, virtuellen Funktionen, Warenwirtschaftssystem, virtuellen Rechenzentren etc. Und da fehlt mir die Idee aus Europa.

Dass ich meine Mails statt mit Outlook auch mit Thunderbird abholen kann, weiß ich von meinen persönlichen Email-Adressen, mir müsst ihr sowas nicht erklären. Aber dieses echte Arbeiten in der Cloud, das stelle ich mir mit europäischen Mitteln vor. Klar gibt es europäische Cloud-Anbieter. Und für Unternehmen fällt mir ja tatsächlich Nextcloud Enterprise ein. Keine Frage. Aber erzählt mir doch einfach mal, warum es Microsoft, Apple, Google und Amazon dennoch so leicht haben mit ihren Diensten.

Hardware aus Europa: Kein Problem, oder?

Wir können ja nicht einfach die Software in den Himmel installieren. Wir brauchen schon Hardware dazu. Wenn wir von einer Europa IT reden, brauchen wir natürlich europäische Hersteller von Hardware. Mir fallen da ein: Die Wortmann AG, Schenker Technologies, Belinea, Medion, Infineon, Elmos, Devolo, Cherry, Bluechip Computer und andere. Aber die müssten sich ja auch alle neu erfinden, wenn sie nur noch europäische Teile einbauen.

Ihr merkt schon, das wird echt komplex. Das wäre es aber nie geworden, wenn man sich nicht so extrem in die Abhängigkeit begeben hätte. Das ist wie mit Smartphones. Nokia hätte Weltmarktführer bleiben können. Mit einem gutgehenden SailfishOS oder so drauf wäre das bestimmt etwas geworden. Aber man musste ja mit den Amerikaner kooperieren, in dem Fall Microsoft. Ohne Not hat man sich selbst geschlachtet. Und so passierte das oft in Europa.

IT Service

Was wurde ich dafür kritisiert, dass ich Support für die Microsoft-Produkte Exchange Server, Microsoft 365, Windows Failover Cluster, Outlook und Hyper-V liefere. Meine Fresse, ich hab das mal gelernt, und mein Arbeitgeber ist da im IT Service ziemlich weit vorn dabei. Aber klar, der Bereich müsste dann natürlich auch gewaltig umsteuern, wenn es wirklich um eine Europa IT ginge. Könnten wir das überhaupt in unserer Branche? Wären wir dazu in der Lage und willens?

Man sagt, dass wir durchaus auch systemrelevant seien. Mag sein. Vielleicht sind deshalb so viele IT-Dienstleister einfach nicht mutig genug, hier umzusteuern? Aber die müssen halt auch an ihre Kunden denken: Wir haben den einen oder anderen Kunden, der mal hier oder dort einen Linux Datenbank-Server laufen hat. Im großen Stil ist da soweit ich weiß bei unseren Kunden nicht viel los. Und so lang der Bedarf nicht da ist, wird sich eben nichts ändern. Und die Europa IT wird nie entstehen.

Wer muss also anfangen mit der Änderung? Die Kunden? Die Dienstleister? Die Hersteller? Irgendwer muss Mut haben und etwas wagen. Sonst lachen uns die Amerikaner weiter aus. Und Trump kann die nächste Zollrunde in Gang setzen. Irgendwer muss den ersten Schritt zu einer Europa IT machen. Und ich vermute, es müssten die Hersteller und die Dienstleister sein. Die müssten zeigen, was es so gibt. Und wenn das großartig ist, findet das auch Abnehmer. Wie denn sonst?

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4 Gedanken zu „Europa IT? Denkbar oder Blödsinn?“

  1. Sehr interessantes Thema, was uns auf der Arbeit auch gerade ein wenig beschäftigt. Was ist, wenn der Donald plötzlich den Laden für uns dicht macht? Was sind die Alternativen? Womit können wir dann arbeiten? Ich glaube zwar nicht, dass das so hart kommen wird. Aber einen Plan B in der Tasche zu haben kann auch nicht schaden. Die haben mich im Büro auch immer ausgelacht, wenn ich den Pandemie-Plan überarbeitet habe – bis 2020, da war das Lachen plötzlich verstummt. :-)

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    • Ich rege ja hoffentlich mit dem Artikel dazu an, diese Möglichkeit wenigstens mal zu durchdenken. Mir ist selbst klar, dass das nicht so ohne weiteres möglich ist.
      Wir erleben ja selbst Kunden, die sich lieber dem Giganten aus Redmond ergeben und von uns als Dienstleister weggehen, da wir halt vom Namen her und von den Köpfen her kleiner sind. Außerdem haben wir keine eigenen Produkte.
      Aber es gibt eben auch Produkte aus Europa. Die muss halt jemand zusammenstricken können, um daraus ein „Großes Ganzes“ zu machen, und dann ist man schon konkurrenzfähig. Mir kann niemand erzählen, dass das nicht möglich sein soll.

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