Als ich mit meiner Freundin in Oberwiesenthal war, fuhren wir für einen Tag nach Tschechien. Ich kündigte im Artikel dazu ein paar gesonderte Worte an. Und da will ich mich auch mal nicht lumpen lassen und der Ankündigung Taten folgen lassen. Wir fuhren also für einen Tag nach Böhmen. Zum Teil auf den Spuren meiner Vorfahren. Ein Tag reicht natürlich nicht aus. Bei weitem nicht. Aber es war ein Anfang. Und dazu werde ich auch mal einen Artikel mit Fotos schreiben. Denn wir erlebten so etwas:
Wer von Oberwiesenthal nach Böhmen will, kann entweder laufen (direkt nach Böhmisch Wiesenthal – Lou?ná pod Klínovcem) oder fahren. Wir entschieden uns für das Fahren. Und uns stand die B95 zur Verfügung, auf der wir nach vielleicht 10 Minuten an der deutsch-tschechischen Grenze bei Gottesgab ankamen. Das inzwischen winzige Boží Dar hatte seine große Zeit während des Silber- und Zinn-Bergbaus. Allerdings wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die deutschböhmische Bevölkerung vertrieben, und der Ort verlor mit der Zeit seine Bedeutung. Von den einst 1400 Einwohnern sind noch 240 übrig.
In Boží Dar am Grenzübergang existiert eine Wechselstube, in der wir 80 Euro wechselten. Die hatten wir halt einstecken. Wir erhielten dafür 1940 tschechische Kronen. Wir beschlossen, dass wir mal sehen wollten, wie weit wir damit kamen. Es ist eine variable Umrechnung zwischen den Währungen. Das bedeutet also, dass der Kurs schwankt und man unterschiedliche Beträge erhält.
Ich erzähle Ihnen nicht zu viel, wenn ich Ihnen sage, dass wir für die 1940 Kronen Verpflegung für den Tag, Kleinigkeiten als Souvenirs und einen vollen Tank erhielten. Etwa 1,10 Euro muss man dort pro Liter Super bezahlen. Der deutsche Autofahrer wird hierüber lachen. Stimmt’s? Am Ende unseres Tages hatten wir dennoch Kronen übrig, die wir zurück tauschten und immernoch etwa 19 Euro wieder bekamen. Man muss also festhalten, dass es wirklich günstig in Tschechien ist. Aber bei Löhnen von um die 500 Euro sind die Preise kein Wunder.
Wir fuhren dann also nach Nejdek. Von Boží Dar – also Gottesgab – bekamen wir eigentlich nichts mit. Die Straße nach Nejdek war erstaunlich gut ausgebaut. Deutsche Bundesstraßen sind oftmals in weitaus schlechterem Zustand. Und dann erreichten wir irgendwann mal die 8000-Seelen-Kleinstadt an der Rohlau. Aber was wollten wir denn ausgerechnet dort? Denn so bedeutend ist das Städtchen nicht. Und eine überragende Augenweide ist der Ort bis auf die Kirche und das Schloss im Karlovarský kraj ebenfalls nicht. Die einfache Erklärung: Meine Verwandschaft von der mütterlichen Seite stammt aus dem Ort, und wir begaben uns auf Spurensuche.
Meine Mutter beschrieb mir im Vorfeld noch, dass sich das Häuschen am äußeren Stadtrand befand, vor einer Eisenbahnbrücke in einer Siedlung. Als wir nach Nejdek herein kamen, empfing uns eine kleine Siedlung mit einem riesigen Gebäude dazu. Was auch immer dieses Gebäude früher war, inzwischen ist dieses Gebäude eine Rehaklinik und heißt REHOS. Soweit ich gesehen habe, ist das noch nicht so lang her. Aber die Eisenbahnbrücke hatten wir da schon hinter uns gelassen.
Wie dem auch sei, wir mussten fragen. Die Leute dort sprechen vielleicht noch zum Teil deutsch. Wir trafen einen älteren Herrn, der in gebrochenem Deutsch und typisch böhmischem Singsang uns erklärte, dass Nejdek zwei Eisenbahnbrücken hätte. Eine in Richtung Norden – grobe Richtung Albertham und Oberwiesenthal, also wo wir herkamen. Eine in westlicher Richtung nach Bernau. „Missen Sie fahren zu Penny und fragen. Aber fahren Sie nach Bernov„, war seine Auskunft.
Wir fuhren also einmal quer durch Nejdek. Industrie ist dort zu finden, eine Poliklinik, Kultur. Aber irgendwie hat es den Anschein, als hätte Nejdek die besten Zeiten hinter sich. Natürlich, die Grafen von der Asseburg sind schon lang nicht mehr dort zu finden. Und die Kleinstadt existiert nun einmal zwischen dem weltberühmten Karlsbad und der Grenze. In Deutschland ist so etwas immer relativ totes Gebiet. Das ist in Nejdek auch nichts anderes.
Wir fuhren also durch Nejdek, und stießen auf etwas, was uns zum Grinsen brachte: Ein „Konsum“. Aber nicht so wie die jetzige Handelskette in Deutschland, sondern wie früher der kleine Laden an der Ecke. Das ist nicht weiter erwähnenswert, aber wir fanden es witzig. Jedenfalls fuhren wir dann also in die Richtung, die uns der nette, ältere Herr vorhin vorgab. Und dann war Bernov ausgeschildert, und vor einer Doppelkurve fanden wir eine weitere, allerdings ziemlich enge Eisenbahnbrücke.
Nach der Eisenbahnbrücke waren wir nicht mehr in einer industriell geprägten Kleinstadt, sondern irgendwie woanders. Vor der Brücke hat man einen kleinen Teich namens Bernovský Rybník, nach der Brücke die vorhin genannte Doppelkurve. Mit der überquert man einen Bach namens Nejdecký Potok, also quasi Neudeker Strom. Und dann sieht man die gemeinte Siedlung, in der meine Mutter ihre ersten Lebensjahre verbrachte.
Allein hier könnte ich Ihnen Unmengen von Fotos hinstellen. Das mache ich aber nicht, ich bin ja nicht Google Street View. Was aber seltsam ist, ist der Umstand, dass die Nummerierung der Häuser sich uns nicht erschloss. Zum Beispiel befand sich ein Haus mit der Nummer 318 neben dem Haus mit der Nummer 949. Wieso das so ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Und nebenan plätscherte der „Strom“ lustig vor sich hin.
Wir fuhren dann weiter nach Karlsbad. Vielleicht denken Sie, dass das eine riesige Reise ist. Aber zwischen Oberwiesenthal und dem Becherplatz in Karlovy Vary – mit Fahrt über Nejdek – befinden sich nicht einmal 50 Kilometer. Die reine Fahrzeit liegt also bei etwa einer Stunde. Das böhmische Karlsbad ist einer der traditionsreichsten und berühmtesten Kurorte der Welt. Die Stadt ist mit ihren rund 50000 Einwohnern eine Reise wert. Das wird Ihnen jeder erzählen, der schon mal dort im Egerland war.
Wir wollten aber „nur mal schnuppern“. Denn uns war von vornherein klar, dass ein paar Stunden nicht ausreichen würden. Wir parkten in der Nähe des berühmten Becherplatzes, in welchem sich ein Marktplatz, ein Restaurant, eine Brauerei, diverse Souvenir-Läden und so weiter und so fort befinden. Was für Deutsche ungewöhnlich ist: In Karlsbad funktioniert einfach das kostenfreie, öffentliche WLAN. Und was auch ungewöhnlich ist: Dort darf man rauchen. Überall. Und was noch dazu ungewöhnlich ist: Zum Kaffee – aber nicht zum Cappuccino – wird ein Glas Mattoni Mineralwasser aus der örtlichen Quelle gereicht.
Die Bedienung hatte sich dann wie ein Schneekönig darüber gefreut, dass ich ihr 40 Kronen Trinkgeld gab. Das sind umgerechnet 1,50 Euro. In Leipzig würden sie vielleicht die Nase rümpfen. Aber ich schrieb ja schon von den Löhnen. Da am Becherplatz sollte man vielleicht das Jan Becher Museum besuchen. Uns fehlte die Zeit dazu. Aber das holen wir nach. Denn wir haben festgestellt, dass wir durchaus etwas mehr Böhmen vertragen können.
Wir gingen aber noch durch Karlsbad. Im Prinzip sieht die Innenstadt fast so aus wie in jeder anderen Stadt. Ja, auch mit der Leipziger Innenstadt ist Karlsbad zu vergleichen. Wenn man sich aber vom Fluss Teplá aus in Höhe des Humboldt-Parks in Richtung Süden bewegt, kommt man an ein Waldstück, bei dem die Krále Ji?ího beginnt. Und in der befindet sich die russisch-orthodoxe Kirche St. Peter und Paul. Und die ist sehenswert. Für uns war sie das unbestrittene Highlight unserer 3 Stunden in Karlsbad.
Karlsbad wurde durch den russischen Zaren gefördert. Und dort in der Gegend ist alles sehr international geprägt. Wir haben Flaggen aus aller Herren Länder gesehen, hauptsächlich aber aus Russland. Und Villen wurden in dem Viertel ausschließlich in kyrillisch zum Kauf angeboten. Das soll daran liegen, weil da viel russischer Einfluss herrscht, und das schon seit jeher. Überwältigt von dem großen russischen Einfluss und vor allem von der Kirche, mussten wir uns dann allerdings wieder zum Auto begeben, denn wir wollten ja wieder zurück nach Deutschland.
Freilich, es gibt bessere Zeiten im Jahr, als ausgerechnet mitten im Oktober nach Böhmen zu fahren. Wir haben aber trotzdem die Zeit dort genossen. Und wir haben beschlossen, dass wir mal wiederkommen. Und dann für länger als nur für ein paar Stunden. Böhmen hat noch viel mehr zu bieten. Uns hat es dort gefallen. Dieser Ausflug nach Gottesgab, Neudek und Karlsbad war unterm Strich vielleicht das Highlight unseres gesamten Kurzurlaubs im Oktober.