Erhöhtes Unfallrisiko bei Armen?

Ich bin ja fast vom Stuhl gefallen, als ich auf einen Artikel aufmerksam gemacht wurde. Man denkt sich, ob sich das Magazin vertan hat und den Artikel eigentlich zum 1. April bringen wollte. Aber nein, der Artikel scheint ernst gemeint zu sein.

Es geht um Kfz-Versicherungen und um arme Menschen. Es geht um das Unfallrisiko und seine Beziehung zum finanziellen Stand. Die Versicherungen haben sich da etwas großartiges ausgedacht.

Alles Säufer! Alles Drogensüchtige!

Man hört so oft Debatten von Zaungästen, die von der Ferne einen Unfall beobachtet haben: „Der eine war bestimmt besoffen.“ Oder: „Die haben doch alle Drogen genommen.“ Und ähnlich allwissende Wortbeiträge. An Unfällen Beteiligte haben es oft nicht leicht. Zu schnell werden Klischees herausgekehrt, die in den aller meisten Fällen gar nicht zutreffen.

Man hört auch bei Debatten über Hartz IV-Bezieher immer wieder lustige Wortbeiträge: „Die sind zu dumm und zu faul zum arbeiten.“ Oder: „Da müssen die weniger saufen und Drogen nehmen, dann können die auch arbeiten gehen.“ Oder, oder, oder. Sie kennen alle solche Debatten. Das sind auch so Klischees, die vielleicht zu 95% nicht zutreffend sind.

Die Versicherungswirtschaft hat jetzt einen interessanten Schachzug gemacht. Sie hat die einen Säufer und Drogenabhängigen (Die Unfallopfer) und die anderen Säufer und Drogenabhängigen (die Armen) in einen Topf geworfen. Und das wollen sie bis zum Ende diesen Jahres als intelligente Idee verkaufen.

Kfz-Versicherung mit Risikopuffer

Bis jetzt machen die Zeilen noch nicht so sehr viel Sinn, nicht wahr? Das wird sich aber jetzt sofort aufklären.

Die Versicherungswirtschaft kam auf die Idee, eine Statistik zu veröffentlichen, die angeblich besagt, dass Verkehrsteilnehmer mit Geldproblemen – also mit schlechter Bonität – häufiger Unfälle bauen würden. Verstehe ich das richtig, dass die Versicherer denken, dass die finanziell schlechter gestellten Leute in diesem Land sich selbst das sozialverträgliche Frühableben verordnen?

Mehrere Direktversicherer wollen dahingehend aktiv werden. Bis zum Jahresende will zum Beispiel die Direct Line startklar sein für die besonderen Tarife für Autofahrer mit Geldproblemen. Das jedenfalls hat deren Deutschland-Chef neulich gesagt.

Angeblich sei es so, dass finanziell schlechter gestellte Leute deutlich mehr Schäden verursachen würden als finanziell besser gestellte. Und erstere hätten auch eine schlechte Zahlungsmoral, weshalb die Prämien für die neuen Verträge dann im Voraus bezahlt werden müssten.

Wilder Meinungsbrei

Was geistern da für Meinungen dazu durchs Internet? Das kann man sich gar nicht ernsthaft vorstellen! Die Bezieher von Hartz IV sollten ihre Autos abschaffen, obwohl bekannt ist, dass Arbeitgeber auf Mobilität schauen. Hartz IV-Bezieher sollten arbeiten gehen, dann würden sie auch vernünftige Verträge bekommen. Aber erst das Auto abschaffen?

Ein Kommentar dazu war ganz besonders witzig. Der verglich eine Kfz-Versicherung mit einem Zeitschriften-Abonnement. Tut mir leid, aber woher kommt so ein Vergleich? Klar, ein Abo einer Zeitschrift muss auch vorher bezahlt werden. Aber nur, weil ich die Arbeit vielleicht verloren habe, muss ich nicht plötzlich mehr für die Zeitschrift bezahlen. Und ich muss keine Zeitschrift haben. Ich bin nicht dazu verpflichtet. Wenn ich ein Auto angemeldet habe, habe ich aber eine Versicherungspflicht.

Versicherungsschmutz

Die Direct Line als Versicherung ist wegen solchem unsozialen Verhalten jedenfalls nicht mehr zu empfehlen. Wer Sondertarife für Arme einführt, gehört des Landes verwiesen.

Versicherungs-Marktführer HUK Coburg ist genauso abzulehnen. Wer meint, dass Autofahrer XYZ „auffällig“ geworden sei und ihm deshalb nur die Mindestdeckung der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung, aber nicht darüber hinaus gehende Leistungen zu gewähren sei, ist als Versicherungspartner, was ein gewisses Vertrauen voraussetzt, ebenso nicht tragbar.

Sondertarife oder Abzocke?

Die allermeisten Menschen geraten unverschuldet in finanzielle Not. Sie dann noch dazu mit teureren Versicherungen zu bestrafen, ist unter aller Würde. Ich habe so oft festgestellt, dass man über Versicherungen sagt, dass sie „Scharlatane“ sind. An den Diskussionen habe ich mich nie beteiligt. Aber irgendwie könnte sich meine Meinung ändern.

Sondertarife für sozial Schwache kann man natürlich einführen. Aber nicht so. Wenn Sondertarife für die, die nicht so viel haben, dann vielleicht etwas preiswertere Tarife, die eine Pflicht zur Anfahrt einer Werkstatt von der Versicherung vorsieht und vielleicht eine Kilometer-Beschränkung vorsieht. Aber Arme, die an ihrer Situation etwas ändern wollen, müssen wenigstens die Möglichkeit dazu haben. Und das haben sie nicht mit den neuen Tarifgedanken.

Den Artikel bei Spiegel Online sollten Sie unbedingt lesen. Er verweist auch auf andere Medien, die von mir aufgrund des Leistungsschutzrechtes für Presseverlage weder genannt noch verlinkt werden können.

Jedenfalls Unfallbeteiligte und Arme in einen Topf zu werfen, ist nicht fair und kommt der Realität nicht im entferntesten nach.

Bildquelle: Unfallrisiko – (C) Roadrunner CC0 via poixabay.de

One Reply to “Erhöhtes Unfallrisiko bei Armen?”

  1. Es geht um Haftpflichttarife, da sind die Leistungen (gottseidank) standardisiert – oder willst DU dann mit eingeschränkter Leistung dich abfinden nur weil ein „sozial Schwacher“ dir reingeschmettert ist?

    Weil eben die Leistung standardisiert ist ist das eine Versicherung die sich nur über den Preis verkaufen lässt. Das heist im Umkehrschluss das die von dir als ungerecht empfundene Preiserhöhung anderswo als Preissenkungen sich niederschlagen.

    Das Tarifsystem ist in Dtl. extrem komplex, wenn ich z.B. bedenke das in BG allein der DAT Schätzwert des zu versicherten Autos zur Berechnung herangezogen wird – eine Haftpflicht eines 3000Eur Autos kostete ca 160Eur pro Jahr).

    Das System nimmt immer eine Schnittmenge aus Gruppen in Sippenhaft :
    – Gruppe nach Fahrerfahrung
    – Gruppe nach Wohnort (MTL war billiger als L)
    – Gruppe nach bestimmten Autotyp (Golf sauteuer während der preis-baugleiche Jetta/Vento in der billigsten Gruppe ist)
    – Gruppe nach Alter des Autos (bis 10J Autoalter steigen Preise)

    Man könnte jetzt blau behaupten das die Preisstaffelung nach Alter des Fahrers ebenfalls eine Form der Diskriminierung darstellt – und klagt jeder ?

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