Big Data – Die Angst vor der IP-Adresse mit dem Gesicht

Big Data – Das Schlagwort, das alles bestimmt. Es beschäftigt Wirtschaft, Politik, Betrüger, Nutzer und so weiter und so fort. Allenthalben wird mit Big Data irgendetwas böses impliziert. Die wüsten Gedanken in Form von „DIE DA OBEN wissen eh alles und setzen es gegen uns ein“ malen alles schwarz oder bestenfalls grau. Insofern kann man schon vollmundig davon sprechen, dass Big Data die Technologisierung des Bösen ist.

Und wieder schleicht Winston die Treppe hoch. Und wieder sieht ihn das Gesicht auf dem Plakat eindringlich an. Und wieder steht auf dem Plakat „Der große Bruder sieht dich„. Viele wissen, wovon ich hier schreibe. Von „1984“, der düsteren Dystopsie von George Orwell. Und es kann sein, dass einiges davon wahr wird. Die Gedankenpolizei überwacht und schnüffelt und sonstwas. Nichts bleibt geheim, nicht einmal romantische Gefühle.

Natürlich speichern Facebook, Google+, Twitter und Co. persönliche Daten. Und es ist ja auch nachgewiesen, dass diese Daten ohne Einverständnis der Benutzer an Dritte weitergegeben wurden, vielleicht sogar werden. Ist das jetzt irgendetwas neues? Nein. Wir leben nicht im Zauberland. Natürlich werden Daten gesammelt. Sonst könnte vieles in den von uns liebgewonnenen sozialen Netzwerken gar nicht mehr funktionieren. Und wer schreit dann auf? Wir, die Benutzer.

Ich habe oft genug über die Datensammelwut von NSA, GCHQ, Bundesnachrichtendienst und Co. geschrieben. Die müssen aber profitabel arbeiten. Die Geheimdienste haben gigantische Technologien und geben Jahr für Jahr Unmengen von Geld aus, um diese Technologien auszubauen oder zu erneuern. Das muss ja irgendwie finanziert werden. Ich habe mal irgendwo etwas gelesen, dass in den Staatshaushalten gar nicht so viel Budget vorhanden sei, um dies zu stemmen. Also können wir getrost davon ausgehen, dass die gesammelten Daten an die Privatwirtschaft verkauft werden. Was meinen Sie denn, wieso der Werbespam mit recht genauen Zielangaben zustande kommt und derzeit wieder zunimmt? Das ist kein Zufall, das wird durch solcherlei Verkäufe gefördert.

Aber freuen wir uns nicht über diese Auswirkungen? Unter meinen Artikel sind Buttons für die sozialen Netzwerke. Manche klicken darauf. Und huch (!), plötzlich landen diese Daten in den USA. Ja, was hat man denn erwartet? Die Firma „Facebook, Inc.“ ist ein amerikanisches Unternehmen. Es ist eine verblüffende Erkenntnis, dass ein Klick auf die Buttons nun die Daten in die USA „verrät“. Ich hätte gern eine Verlinkung zu solchen Dingen wie die VZ-Netzwerke hingebogen, aber der deutsche Nutzer nutzt ja eh lieber den blauen Riesen.

Aber was soll überhaupt die Aufregung? Ruft man eine Webseite auf, dann erfolgt der Aufruf in etwa so:

  1. Ihr Browser fragt den Router / das Modem / den nächsten Punkt nach dem Weg zur Webseite, z.B. henning-uhle.eu
  2. Dieser nächste Punkt schreit erstmal herum, ob irgendein Verteiler weiß, wo es nach „eu“ geht
  3. Das kann dann schon mal quer durch Europa oder einmal rund um die Welt gehen
  4. Dann meldet sich ein Verteiler, der den Weg kennt und nimmt die Anfrage an und leitet sie weiter
  5. Das kann dann wieder einmal rund um die Welt gehen, weil das gerade der günstigste Weg ist
  6. Dann taucht die Anfrage bei „eu“ auf und wird dann an den Server weitergeleitet, der weiß, wo „henning-uhle.eu“ zuhause ist
  7. Meine Domain meldet sich und sagt: „OK, angekommen, aber dort und dort herum geht es schneller“, weil man vielleicht aus dem Adressraum schon oft hierher gelangt ist und meine Domain sich auskennt
  8. Dann wird meine Seite bei Ihnen angezeigt

Klar, das ist stark vereinfacht und teilweise auch nicht ganz stimmig. Aber ich will ja kein technisches Referat halten. Ich will einfach mal verdeutlichen, dass es egal ist, ob Sie soziale Netzwerke nutzen oder nicht; Ihre Webseiten-Aufrufe können durchaus generell einmal rund um die Welt – und damit auch über zentrale Server in den USA – laufen. So ist nun einmal das Internet aufgebaut. Und so funktioniert es.

Mit Big Data werden alle möglichen Dinge optimiert. Das betrifft ja nicht nur die Geheimdienste und die Werbeindustrie. Das ist ja Unsinn, so etwas zu behaupten. Es geht ja auch um Wissenschaft, um Forschung, um Technik, um die Behandlung von Zivilisationskrankheiten und so weiter und so fort. Und Big Data ist keineswegs einfach nur der Facebook-Button am Ende dieses Artikels. Big Data ist das weltweite Datenaufkommen, das so groß und so komplex ist, dass es nicht mehr mit menschlichen Mitteln bewältigt werden kann.

Ich kann den Aufschrei nur noch bedingt verstehen, was jede neue Entwicklung in den Enthüllungen von Edward Snowden betrifft. Wir müssen uns damit abfinden, was alles analysiert werden kann: Alles. Jeder. Überall. Wir haben das so gewollt. Wir haben es gewollt, dass Terror wirksam bekämpft werden kann. Wir haben es gewollt, dass auf Webseiten nur Werbung angezeigt wird, die uns interessiert. Wir haben es gewollt, dass Apps auf dem Smartphone in den sozialen Netzwerken erzählen, wo man sich gerade befindet. Jetzt so zu tun, als ob das alles böse ist, ist ein bisschen weit hergeholt.

Eine intensive Steuerung der Zivilisation wie in „1984“ darf aber nicht geschehen. Wenn ich verschiedene Aluhut-Webseiten ansehe, wird aber genau dies vermutet. Und es gibt einen ganzen Haufen Bundespolitiker, die ein abgeschottetes Netz im Schengen-Raum fordern. Sollte so etwas gewünscht sein, dann wird sich aber das europäische Volk alsbald wundern: Einerseits kann man dann nicht mehr bei Amazon bestellen, sondern bei – sagen wir mal – Otto. Man kann nicht mehr über Facebook, Google+ oder Twitter Konversation betreiben, sondern ist auf MeinVZ und Co. angewiesen. Android, iOS, Windows und dergleichen – das wird alles nicht mehr funktionieren. Und das Beste ist: Das Volk kann besser kontrolliert werden, weil der Radius der Kontrollorgane wesentlich kleiner ist.

Ein so genanntes „Schengen-Netz“ hat dann auch noch die Auswirkungen, wie sie in „1984“ beschrieben sind: Passen politische Entwicklungen einfach mal nicht mehr ins Konzept, dann werden sie tot geschwiegen und sämtliche Unterlagen, Dokumente und Dateien umgeschrieben. Weltweit wäre das wohl nicht möglich, auf kontinentaler Ebene aber schon. Und wie schnell das geht, zeigt ja auch die Türkei, die einfach mal die Gezi-Dinge aus dem Internet heraus haben wollte und Twitter eine Weile lang nicht mehr durchgelassen hat. Ähnliche Entwicklungen gibt es ja auch in Russland, in China und so weiter.

Was ist denn da besser? Ein Internet, wie es jetzt besteht, nur eben mit konkreten Spielregeln? Oder ein kontinentales oder gar nationales / regionales Netz? Man kann die Datenverarbeitungs- und -sammelwut der amerikanischen Konzerne verteufeln, wie man will. Aber es scheint erstmal das kleinere Übel zu sein. Eine Zuordnung IP-Adresse zum Namen funktioniert auf jeden Fall nur zum Teil. Dazu werden die IP-Adressen viel zu sehr dynamisch vergeben. Man kann anhand der IP-Adresse vielleicht das Land oder die Region feststellen, aber die Zeiten, in denen man die IP-Adresse als Zuordnung mit Name, Straße, Hausnummer, Ort gesehen hat, die sind vorbei. Wenn die Heim-Router dann irgendwann vollständig mit der derzeit aktuellsten Version dieser Vorschriften umgehen sollten, dann müsste man neu darüber nachdenken. Aber derzeit stellt sich die Frage eher nur untergeordnet.

Die Hauptproblematik ist aber doch eine andere: Cookies, Daten, die im Browser gespeichert werden, Standort-Daten. Damit können Profile erstellt werden. Und die können zur Auswertung benutzt werden. Und da muss man ansetzen. Wenn Carsten Tauber in seinem lesenswerten Artikel da schreibt, dass man seine Daten nicht selbst steuert, dann malt er ein bisschen den Teufel an die Wand. Sicher ist das nicht von der Hand zu weisen, dass Dienste und Privatwirtschaft auf Nutzerdaten scharf sind. Aber doch auch auf die Browserdaten.

In einer globalisierten Welt müssen wir nun einmal mit den Bedingungen leben, die da gegeben sind. Das Internet hört nicht an den deutschen Grenzen auf. Und das ist auch gut so. Den Umgang mit den eigenen Daten hat aber – und da widerspreche ich Carsten Tauber – jeder selbst in der Hand. Sollten die sozialen Netzwerke und Apps tatsächlich mit den Daten so umgehen, dann würden sie sich des Datenmissbrauchs schuldig machen. Das ist auch in den USA kein Kavaliersdelikt. Und die Enthüllung Snowdens, dass Facebook mit der NSA zusammengearbeitet hat, sollte auch nicht allzu sehr verwundern, wenn man sich vor Augen hält, dass Dienste und Wirtschaft Daten haben wollen.

Die Alternative wäre, sich komplett aus dem Internet herauszuhalten. Würde das aber jeder machen, wären wir bald wieder in der Steinzeit angekommen. Also steht für mich als Fazit fest, dass Big Data, sinnvoll genutzt, ein Segen für die Menschheit wäre. So lang aber irgendwer mit eigenen Interessen mit Big Data zu tun hat, muss man sehr streng mit selbst sein und objektiv überblicken, was gut für einen selbst ist.

2 Replies to “Big Data – Die Angst vor der IP-Adresse mit dem Gesicht”

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