Der Begriff der Digitalisierung droht ja, zur hohlen Phrase zu verkommen. Irgendwie kommt es einem so vor, als wären diejenigen, die sie vorantreiben, eher so die possierlichen Tierchen. Und die politischen Entscheider wirken wie eine Ach-ja-das-gibt-es-ja-auch-noch-Combo. Digitalisierung wird eher nur nebenbei gemacht. Dabei gibt es kein wichtigeres Thema für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Und selbst wenn die Digitalisierung forciert werden würde, stellt sich die Frage: Und dann? Das ist mein Thema im Abwasch der Woche.
Digitalisierung, immer wieder Digitalisierung
Komm, wir gehen in die Cloud! Wir müssen irgendwie bei der Digitalisierung dabei sein. Dieses „Wir müssten mal“ ist es, was alles so schwierig macht. Die Digitalisierung ist kein Thema, was nur die IT-Industrie betrifft. Sie ist viel mehr. Sie betrifft die gesamte Gesellschaft. Und zwar jede Gesellschaft auf jedem Kontinent. Es fängt ja nicht beim Email-Programm und dem Antivirus auf dem PC an und hört auch nicht damit auf, das Smartphone ins WLAN zu bringen. Es handelt sich auch darum, das Verständnis zu schärfen und Geschäftsprozesse abzustimmen.
Deshalb schrieb ich auch mal davon, dass Deutschland ein Digitalministerium bräuchte. Dieses Ministerium müsste das wichtigste der Bundesregierung sein. Aber vor lauter #fedidwgugl der Unionsparteien kommt man gar nicht dazu, sich darum zu kümmern. Die hohle Phrase „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ im Bundestagswahlkampf sagt eigentlich alles aus. Was soll das sein? Und so geht man in der Politik auch mit der Digitalisierung um. Die Spitzenpolitik kommt einem so vor, als würde sie fragen, was das sein soll.
Somit wird Deutschland gehemmt. Die stärkste Wirtschaftsnation Europas hinkt in Sachen Zukunft allen anderen hinterher. Statt die Internet-Versorgung voran zu treiben, befasst man sich mit der Diesel-Lobby. Unbedingt nachhaltig ist es nicht. Ganz zu schweigen davon, dass das nicht zukunftstauglich ist. Statt über Fahrverbote zu diskutieren, würde mit sinnvoller Digitalisierung ein modernes Verkehrsleitsystem möglich sein. Aber die Politiker können oft den Begriff Digitalisierung nicht mehr hören. So zumindest mein Eindruck.
Was kommt denn nach der Digitalisierung?
Wir wissen ja nun, dass die Gesellschaft digitalisiert werden wird. Der Öffentliche Nahverkehr wird wohl irgendwann digitale Tickets bekommen. Stromzähler werden oder sind digital. Sie haben von der digitalen Krankenakte gehört. Derlei Beispiele gibt es viele. Produktionsprozesse werden digital, und das geht überall so weiter. Aber wie Sie hier heraus lesen: Die Digitalisierung ist ein Prozess. Und wie das bei Prozessen so ist: Die sind irgendwann mal abgeschlossen. Was kommt denn nach der Digitalisierung?
Politik ist ein Plan für die Zukunft. Um eine Zukunft gestalten zu können, braucht man eine Vision. Was kommt, wenn es dann wirklich mal mit der Digitalisierung vorbei ist und die Gesellschaft digitale Dinge als selbstverständlich ansieht? Hier hat die Politik einfach keine Idee. Man gibt kein Ziel aus, wurstelt vor sich hin und kommt zu keinem sinnvollen Ergebnis. Und so wird die Digitalisierung zu einer hohlen Phrase, der jegliche Substanz fehlt.
Dabei wäre es so eine nette Welt. Durch Automatisierung, künstliche Intelligenz und Vernetzung entstünde ein Wohlstand, durch den weniger gearbeitet werden müsste. Dieser Wohlstand könnte auf die Gesellschaft verteilt werden und sogar schwächere Gesellschaften teilhaben lassen. Das Alles würde dann wieder den Wohlstand sichern. Allerdings müsste man dafür eine Vision haben. Und es braucht auch Mut. An beidem fehlt es. Hierfür bedarf es auch einer Leidenschaft. Und hier muss die IT-Industrie auf jeden Fall mithelfen.
Digitale Kompetenz
Kompetenz heißt ja nicht nur, dass sich ein Mensch, ein Team ein Unternehmen oder eine ganze Branche besonders viel Wissen auf einem bestimmten Gebiet hat. Kompetenz bedeutet ja auch, dieses Wissen zu vermitteln und andere mitzunehmen. Wenn also ein IT-Unternehmen schon von der Gesellschaft gefragt wird, ob es sich mit der Digitalisierung auskennt, darf die Antwort nicht lauten: „Klar, hier ist der Vertrag“. Die Antwort muss lauten: „Klar, und wir zeigen euch, wie das geht“.
Ja, das ist eine Utopie. Keine Utopie ist es aber, dass dann – egal, wie die Antwort lautet – das Unternehmen selbst einen Plan haben muss. Wer sich an die Seite der Kunden stellt und diese durch die Digitalisierung begleiten will, muss vorher schon wissen, wie er das machen will. Man kann doch nicht erst das Ergebnis verkünden und dann erstmal herum fragen, was man dafür eigentlich tun muss. Das Alles hat etwas mit Kompetenz zu tun. Und im Falle der Digitalisierung eben auch mit digitaler Kompetenz.
Es bedarf dabei auch einer Bestandsaufnahme. Nicht dass es dann heißt: „Wenn du einen beschissenen Prozess digitalisierst, hast du am Ende einen beschissenen digitalen Prozess“. Was wird benötigt? Kann nicht etwa etwas bereinigt werden? Denn das Schlimmste, was passieren kann, ist der Gedanke, alles zu zu lassen, wie es ist, und dennoch auf eine Veränderung zu hoffen. Die wird nicht eintreten. Aber wie soll das Alles geschafft werden? Ja, mit digitaler Kompetenz. Und was bedarf es dazu?
Digitalisierung ist der größte Change der Geschichte
In der IT-Infrastruktur-Bibliothek ITIL gibt es das Change Management. Dieses ist unverzichtbar, wenn es um Erneuerungen geht. Ein Change hat aus dem Grund, weil das Alles unverzichtbar ist, eine klare Definition. Bei einem Change geht es um die Anpassung der IT-Infrastruktur, damit diese kontrolliert, effizient und unter Minimierung von Risiken für den Betrieb bestehender Business-Services durchgeführt werden können. Ein Change an sich ist die Veränderung einer vorhandenen Spezifikation oder einer Bedingung oder eines Produkts etc.
Ich weiß selbst, wie das da manchmal abläuft. Ich hatte mal mit virtuellen Arbeitsplätzen zu tun. Diese mussten an veränderte Bedingungen angepasst werden. Es gab da Arbeitsgruppen, die sich darüber unterhalten haben, was wichtig und was unnötig ist, was verändert und was erhalten werden soll usw. Dann wurden die neuen Arbeitsplätze gebaut und dann nach und nach in die bestehende Infrastruktur eingebracht. Nach und nach deshalb, weil am Anfang ja die neuen Arbeitsplätze im Live-Betrieb getestet werden mussten.
Ob das nun effizient war oder nicht, müssen andere beurteilen. Aber so müssen wir uns das auch mit der Digitalisierung vorstellen. Eine ganze Gesellschaft zu digitalisieren, ist der größte Change der Geschichte. Was ich mit den virtuellen Arbeitsplätzen geschildert habe, ist sehr stark vereinfacht dargestellt. Glaubt denn irgendwer, dass die Digitalisierung tatsächlich einfach werden würde? Aber genau dafür braucht es Menschen, die sich damit auskennen und engagiert genug sind, um den Anforderungen gewachsen zu sein.
Es müssen alle mit
Klar kann man im Zuge der Digitalisierung der 80-jährigen Oma jetzt nicht erzählen, dass sie bitteschön mit einem Smartphone die Straßenbahn benutzen soll. Aber das ist eben auch so etwas, wo einfach mal alle mit müssen. Der Oma muss doch jemand weiterhelfen können. Der Öffentliche Nahverkehr wird zwar digitale Tickets einführen. Aber dennoch muss Oma ihren Papier-Fahrschein kaufen können. Davon abgesehen, muss doch auch irgendwer erklären können, wieso alle mit sollen.
Das Alles ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die nicht nur ein paar IT-Unternehmen lösen können. Und danach dürfen gern alle mit den Vorzügen leben. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass eine digitalisierte Gesellschaft ihre Vorteile hat. Aber es muss genauso gut möglich sein, aus der digitalen Welt auszubrechen. Der Wald soll bitte Wald bleiben. Und ich muss nicht überall erreichbar sein und Internet-Empfang haben. Derlei Beispiele gibt es auch wieder enorm viele. Die Rahmenbedingungen aber sind noch gar nicht vorhanden.
Das zu schaffen, wäre auch eine Aufgabe der Politik. Die aber streichelt die Autokonzerne. Das wirkt so, als seien die Parteien irgendwann vor 30 Jahren stecken geblieben. So wird das dann leider nicht funktionieren. Weder der Weg hin zu einer digitalisierten Welt, noch das Leben in einer solchen. Hier wird Deutschland noch sehr instabil werden, wenn nicht jemand sich langsam ein Herz fasst. Ich habe da die Hoffnung nicht aufgegeben. Aber vielleicht bin ich auch nur ein Träumer.