1987 war für Bruce Springsteen das Jahr der Offenbarung. Viel spiegelt sich auch in dem vorliegenden Album wider. Eins der erfolgreichsten. Er offenbarte seine Beziehung zu Band-Mitglied Patti Scialfa. Und er gab Einblick in sein Leben. „Tunnel of Love“ ist ein sehr persönliches Album des „Boss“. Die ganze Platte wirkt wie eine einzige Reise durch Springsteen. Und er nimmt den Hörer gern mit.
Los geht’s mit „Ain’t got you“ – Ein schnelles, nur von ihm dargebotener Rock’n’Roll darüber, was er alles hat. Diamanten und Gold, alle Fonds, die eine Bank halten kann, jedermann will sein Freund sein, aber er hat sie eben nicht. Er prahlt und protzt über die Rembrandts, die er hat. Auf der Straße halten die Leute an und starren ihm nach. Aber auch die Diamant-Uhr an seinem Handgelenk lässt nicht darüber hinwegtäuschen: Er hat sie nicht. Ein wunderbares Lied, das den Hörer richtig einstimmt.
Mit „Tougher than the Rest“ kommt dann gleich die Offenbarung für Patti Scialfa. Wenn sie nach Liebe sucht, wird er stärker als alle anderen sein. Er hat sie den ganzen Abend beobachtet in ihrem blauen Kleid. Vielleicht hat sie ihn gesehen. Manche Mädchen wollen einen hübschen Dan oder einen gutaussehenden Joe und haben am Arm einen Süßholz raspelnden Romeo. Er hat gelernt, dass man bekommt was man kriegt. Und wenn sie rau genug ist, wird er stärker als der Rest sein. Er wird überall für sie hingehen. Die anderen bestehen doch eh nicht den Test. Nun sitzt sie da, und es kommt der nächste Tanz. Sie muss nur ja sagen. Und wenn sie rau genug für die Liebe ist, wird er härter als der Rest sein. Was für eine Liebeserklärung, oder?
In „All That Heaven Will Allow“ haben wir wieder diese kleine Geschichte, die Springsteen so sympathisch macht. Er hat nur noch einen Dollar in der Tasche, aber ein Bild in einem Medaillon, das Liebe erzeugt. Und wenn die Jungs nicht so gucken würden, wenn sie daher kommt, wenn es der Himmel erlaubt. Er bittet den Türsteher darum, tanzen zu dürfen. Aber er hat seine Brieftasche nur vergessen. Er will nur rein, er schafft es irgendwie. Er darf nicht zu spät sein, weil er ein Date hat mit allem, was der Himmel erlaubt. Er wird sie erobern und mit ihr ein ganzes Haus voller Liebe erfüllen, wenn es der Himmel erlaubt. Nett, nicht?
In „Spare Parts“ geht es um Ersatzteile. Hhm. Bobby wollte ausziehen, aber blieb da. Janey hat ein Baby, das keine Sünde war. Aber Bobby bekam Angst und lief davon. Janey zog zu ihrer Mutter und jammerte, dass ihr Leben ein einziger Fehler war. Sie zog ins Hinterzimmer, und dann kam noch ein Sohn. Sie trug das Kind tagein, tagaus und vermisste die Partylichter. Bobby hörte von seinem Sohn und schwor, nicht wieder zurückzukommen. Janey hörte von einer Frau, die ihr Baby im Fluss aussetzte, sie wollte es gleich tun, sie hielt ihren Sohn kopfüber. Aber dann trug sie ihn nach Hause. Und am Ende versetzte sie Verlobungsring und Brautkleid. Das sind die Ersatzteile für gebrochene Herzen.
„Cautious Man“ erzählt über Bill Horton, der immer vorsichtig war. Er sah sich beim Gehen immer um und blieb seinem Codex treu. Er maß immer sein Bedürfnis und ging dann sorgfältig vor. Er traf eine junge Frau. Die Liebesdämmerung traf beim Abendhimmel ein. Er ließ sich „LOVE“ auf den einen Arm tätowieren, auf den anderen „FEAR“. Und im Spätsommer nahm er sie zur Frau. Und er baute ein großes Haus. Er war ein ehrlicher Mann. Er arbeitete hart. Er würde für Stabilität beten, obwohl er wusste, dass Verrat wartete. Und er hat Alpträume und wandert des Nachts umher, ohne einen Grund für seine Sorge zu finden. Das ist eben so, wenn man übervorsichtig ist.
„Walk like a Man“ ist das Lied für seinen Vater. Viele kleine Episoden zählt Springsteen auf. Es ist eine Ode an seinen Vater, die die zentrale Aussage hat, dass sein Vater immer ging wie ein richtiger Mann, vor dem man Respekt haben muss. Es ist irgendwie das persönlichste seiner Lieder, denke ich. Es ist vielleicht nicht das schönste, aber ziemlich emotional, denke ich.
Das Titelstück „Tunnel of Love“ gehört für mich zu den schwächeren Liedern. Ein alter Mann sitzt da, nimmt ihm das Geld ab, gibt ihm Tickets und sagt „Viel Glück“. Sie soll sich einkuscheln. Sie werden in den Tunnel der Liebe fahren. Er fühlt sie und die Erregung wegen dieser Geisterbahn. Sie sind zu dritt: Sie, er und all das, wovor sie Angst hatten vor dem Tunnel der Liebe. Es geht die Rede über verrückte Spiegel, über die man lacht. Und es ist leicht, damit einander im Tunnel der Liebe zu verlieren. Man muss lernen, mit dem zu leben, worüber man sich nicht hinwegsetzen kann. Aber nur, wenn man weiter fahren will in den Tunnel der Liebe.
„Two faces“ finde ich sehr hörenswert. Er rannte mit ihr weg und schwor, sie glücklich zu machen, aber brachte sie zum Weinen, weil er zwei Gesichter hat. Mal fühlt er sich glücklich, mal wütend. Er liebt ihr Lächeln. Aber dann kommen immer die dunklen Wolken wegen der zwei Gesichter. Eins lacht, eins weint, eins sagt hallo, eins Goodbye. Er fühlt sich da wie ein halber Mann. Er hofft, dass ihre Liebe weitergehen wird. Aber er hat zwei Gesichter. Ein anderer schwor, dass er die Liebe wegnehmen wird und dass ihr Leben nur eine Lüge war wegen der zwei Gesichter. Da soll er es doch mal versuchen.
„Brilliant Disguise“ ist aber auch richtig klasse. Er fragt sich, ob das Alles wahr sein kann, was mit ihr passiert. Sie soll ihm sagen, was er sieht, wenn er in ihre Augen sieht. Ist das wirklich die Frau oder nur eine brillante Verkleidung? Und er traut sich selbst nicht mehr über den Weg. Ist er vielleicht auch nur verkleidet? Sie spielt die liebende Frau, er den treuen Mann. Man soll aber nicht so genau in seine Handflächen sehen. Sie standen vor dem Altar, weil die Zigeunerin eine gute Zukunft schwor, aber vielleicht hat sie gelogen. Und in der Nacht ist er in der Dunkelheit der Liebe verloren. Man habe Mitleid mit einem Mann, der nicht weiß, wem er trauen soll.
Mit „One Step up“ geht das so weiter. Als er aufwacht, ist das Haus verlassen. Sie geben sich gegenseitig harte Lektionen auf, aber sie lernen nicht. Und es geht immer einen Schritt vor und zwei zurück. Die Vögel vor dem Motelzimmer singen nicht. Die Mädchen vor der Kirche hören keine Kirchenglocke. In der Bar denkt er, dass es dasselbe alte Spiel ist. Ein Schritt vor, zwei zurück. Er erzählt von einer neuen Schlacht in einem dreckigen Krieg. Dabei sieht er, dass er nicht der ist, der er eigentlich sein will. Das Mädchen am anderen Ende der Bar sendet eine Botschaft, die er empfängt. Und da sie nicht gebunden aussieht, verbringt er die Nacht mit ihr. Beim Tanzen färbte sich der Himmel schwarz. Ein Schritt vor, zwei zurück.
„When you’re alone“ erzählt von den harten Zeiten, in denen Liebe nicht genug ist. Was er tat, war lustig, aber es fehlte etwas. Mit einem hübschen Formular kommt sie weiter. aber eines Tages wird sie herausfinden: Wenn du allein bist, bist du allein. Er erzählt davon, als er jung war und dafür kämpfte, für sich und seine Familie ein Heim zu schaffen mit nichts besonderem. Aber es gibt Dinge, die einen umhauen, die man nicht kommen sieht, und die schicken einen kriechend wieder nach Hause. Er wusste, eines Tages würde die Flucht vorbei sein. Und sie würde an ihn zurückdenken und wieder heim kommen. Es sind keine schweren Gefühle für dieses Lied. Aber sie wird feststellen: Wenn du allein bist, bist du allein.
In „Valentine’s Day“ singt er von seiner Fahrt über den Highway. Er hat eine Hand fest am Lenkrad und eine Hand zittert auf seinem Herz. Es haut ihm fast die Brust durch. Und er wird nicht anhalten, bis er bei ihr ist. Ein Freund von ihm ist Vater geworden. Wenn sie sprachen, konnte er das Licht im Himmel und am Fluss hören und er hörte den Wolf. Er vermisst sie und sein Zuhause. Er freut sich auf seine einsame Liebe.
„Tunnel of Love“, das haben Sie ja mitbekommen, ist ein sehr liebeslastiges Album. Nach „Born in the USA“ ist dies ein verhältnismäßig gemäßigtes Album, das auf Kritik am Staat völlig verzichtet. Man sagt, das Herzstück sei „Walk like a Man“. Aber ich finde, „Tougher than the Rest“, „Two Faces“, „Brilliant Disguise“, „One Step up“ und „Valentine’s Day“ neben dem Lied für seinen Vater ebenso wichtig, gut und schön. Das Album ist eine Reise von der ersten Begegnung mit IHR über Streitereien mit der bisherigen besseren Hälfte bis hin zum Heimkommen zur großen Liebe. Und über allem schwebt sein Vater.
Lied für Lied wird hier Aufrichtigkeit und Vertrauen in einer Beziehung hinterfragt. Eigentlich ist das so gar nicht das Ding von Bruce Springsteen. Aber es zeigt auch, wie zerrissen er war. „Tougher than the Rest“ setzt aber bereits als zweite der zwölf Nummern die Hausmarke, dass ihn nichts von der neuen Beziehung abbringen wird. Und irgendwie ist das bis heute so geblieben. Die Sache mit dem Fotomodell Julianne Philipps ging nicht gut aus, und als diese Ehe geschieden war, packten Springsteen und Scialfa ihre Sachen zusammen. Und das hält bis heute.
Ich finde „Tunnel of Love“ verrät mehr über den „Boss“ als andere Alben. Es zeigt, dass auch er wegen privater Fährnisse unsicher wirken kann und straucheln kann. Und dieses ewige Hin-und-her kann er nicht ab. Aber am Ende wird ja noch alles gut, als er zum Valentinstag wieder heim kommt. Und somit hat dieses unsichere, weiche Album sein Happy End.