Es gibt so Alben, bei denen fragt man sich: Huch, was ist denn hier passiert? Oder wie hat man vor 30 Jahren reagiert, als OMD nach dem phänomenalen und desaströsen Konzeptwerk „Dazzle Ships“ mit dem Pop-Album „Junk Culture“ daher kamen?
Popkultur wird ja im Englischen auch oft als „Junk Culture“ hingestellt. Und so ist auch das Album zu sehen. Eine angenehme Dreiviertelstunde erwartet den Hörer, den bisherigen Fan erwartet hingegen ungewohnt gängige Musik.
Begonnen wird das Album mit der – ist es wirklich eine? – Rumba „Junk Culture“ im 6/8-Takt. Das wunderbare Instrumentalstück nordet den Hörer richtig ein, denn durch das ganze Album ziehen sich karibische Klänge und Bläser-Arrangements.
Es folgt eine der Singles des Albums, „Tesla Girls„. Die Pop-Nummer mit den „No-No-Nos“ der ersten Frau von Paul Humphreys und der wilde Drumcomputer bestimmen das Lied. Es wurde ein moderater Hit in Großbritannien.
Das dritte Stück des Albums ist das Karnevalslied „Locomotion„. Für einen Umzug treibt man sich über alle Meere herum. Große Bläser-Arrangements und eine Mitsing-Melodie lassen die Füße wippen. Dieses Lied wurde ein recht eindrucksvoller Hit in Europa.
„Apollo“ zeigt dann die etwas experimentierfreudigere Seite von OMD. Eine Mischung aus Breakdance, Funk und Elektronik ertönt. Es ist ein reiner Gute-Laune-Song mit Wohlfühl-Charakter.
„Never turn away“ sollte nie als Single veröffentlicht werden, wäre es nach dem Willen von OMD gegangen. Die melancholische Ballade über den Abschied war ein Flop. Ich finde, es ist aber eins der besten Stücke des Albums.
Beeindruckend und laut geht es dann weiter mit „Love and Violence„, was bis heute wohl eins der beliebtesten Lieder unter den Fans ist. Man fühlt sich irgendwie an die Anfänge der Band zurückversetzt. Es geht um verschmähte Liebe. Es ergibt keinen Sinn, dieses Spiel aus Liebe und Verletzung.
Mit „Hard Day“ wird es dann wieder balladesk. Es geht um Enttäuschungen und darum, sich wie ein müder Mann zu fühlen. Das spärlich instrumentierte Stück ist zugleich das längste Lied der Scheibe. Gefällig wird über den einfachen Mann erzählt, und ein Saxofon weint dazu.
Es folgt dann das Sommer-Sonne-Gute-Laune-Stück „All wrapped up„. „Die Sachen sind gepackt, und wir hauen einfach mal ab. Ihr werdet uns nie wiedersehen.“ Das ist grob der Sinn der Party-Samba. Das war eine potentielle Single, die man sich dann doch nicht getraut hatte.
Das eigentlich experimentellste Stück ist dann „White Trash„. Das funkige Stück erzählt über körperliches Verlangen nach ihr, obwohl ihr Mund ein Maschinengewehr ist. Ja, wie das eben so mit den Frauen sein kann. Es wird mit Stimmen experimentiert. Hörenswert ist der Satzgesang aller Bandmitglieder.
Das Album endet mit dem wohl bekanntesten Stück der Scheibe. „Talking loud and clear“ ist einer der größten Hits der Band überhaupt. Das Lied ist mittlerweile zu einer Art Evergreen mutiert. Man soll genau sagen, was man vom anderen will, dann gehen auch geheimste Wünsche in Erfüllung. Die Pop-Nummer, wie sie im Buche steht, beschließt das Album sehr schwungvoll.
„Junk Culture“ wendet sich konsequent ab vom Punk und der Experimentierfreude der Band. Nur phasenweise kommt beides noch zum Vorschein. Das lag am Management und der verlegenden Firma Virgin Records. Die wollten nicht noch so ein finanzielles Himmelfahrtskommando wie mit „Dazzle Ships“ erleben, weshalb sie sich äußerst großes Mitspracherecht einforderten. Die Band zerriss es zu dem Zeitpunkt fast.
Der Sound wurde ab diesem Album vom inzwischen legendären Fairlight CMI Computer bestimmt. Dieses Gerät brachte etliche neue Möglichkeiten mit, die sich nach und nach dann zeigten. Insofern ist „Junk Culture“ der Beginn einer neuen Ära, die auch noch bis zum Album „The Pacific Age“ 1986 anhielt.
Für jeden interessierten: Wenn jemand mit OMD-Musik der Achtziger nicht vertraut ist, der sollte sich weniger mit „Dazzle Ships“ beschäftigen. Für diese Leute ist „Junk Culture“ die eindeutig bessere Wahl.