„You know, time flies…“ – Du weißt, dass die Zeit wie im Flug vergeht. Leute, geht denn eigentlich noch mehr Melancholie? Wir müssen uns darüber unterhalten. Es war der große Wurf der belgischen Band Vaya Con Dios um Sängerin Dani Klein. Ich habe jedes Mal einen dicken Kloß im Hals bei so einigen der 13 Stücke auf dem Album. Vor dem Album kannte man die Band in Deutschland durch den Schmachtfetzen „What’s a Woman“. Aber das war vorbei. Dani Klein stand auf einmal allein da und hatte ihre Band. Und dann kommt sowas dabei heraus.
Time Flies, Forever Blue, Farewell Song
Die Hauptsingle des Albums ist das Titelstück „Time Flies„. Sie weiß nicht warum, aber es war ein lustiger Tag. Sie kämpft sich einen dornigen Weg heraus aus unzähligen Fehlern. Die Zukunft ist unsicher, aber die Erinnerungen bleiben. Die Zeit vergeht wie im Flug. Und irgendwann sind auch die inneren Rebellen still… Was für ein Opener!
„Forever Blue“ stellt als erstes die Frage, wo der gefallene Engel abgeblieben ist. Hat er Frieden gefunden? Er hat sie allein gelassen mit den Lügen und den gefährlichen Spielen, für die er mit seinem Leben bezahlt hat. Aber eines Tages wird ein Zug sie zu ihm bringen, und sie werden mit dem Versteckspiel aufhören. Er soll sich fragen, wer nun seinen Anzug trägt. Er soll sich fragen, wer nun für immer traurig ist. Und er soll sich fragen, was er getan hat… Oha, was ist denn hier los?
Der „Farewell Song“ ist ein Abschiedslied. Sie wird ihn verlassen, ihm etwas vormachen, aber ihr Gepäck wartet. Sie werden nie herausfinden, wieso sie vom Schicksal gewählt wurden. Wenn er vorbeigeht, sieht sie ihn grinsen. Er kann sie eine Lügnerin nennen. Aber sie wird sich nicht verstecken. Er stolziert wie ein Löwe, aber er ist ein Vogel im Käfig. Er entflammt die Flüsse, aber wird verbrannt. Und ihre Arme können ihn nicht mehr trösten… Warte mal, was? Was geht denn hier ab?
So Long Ago, Still A Man, Heading For A Fall
„So Long Ago“ erzählt von seinen Augen und seinem Lächeln, die sie beeindruckt hatten. Die gemeinsamen Dinge haben ein Ende, und sie wird jemand neues finden. Alles ist lange her und nicht für die Ewigkeit bestimmt. Die Trennung ist geschehen, und auch darüber ist sie nun hinweg… Jetzt wird es wohl leichter? Warten wir mal ab…
„Still A Man“ ist so eine typische Ballade. Egal, was ist, er ist halt ein Mann. Vielleicht ist er ein Nichts oder eine Null, vielleicht stolz oder eitel. Es kann auch sein, dass er ein Sklave oder Kaiser ist. Was immer er sein soll, am Ende ist er nichts anderes, als einfach nur ein Mann… Ja, das klingt irgendwie versöhnlich, aber können wir dem Braten trauen?
Der große Hit aus dem Album ist „Heading For A Fall“ und Drama pur! Sie hat einen neuen. Sie ist mit ihm zusammen, aber er hängt immernoch einer Verflossenen hinterher. Wenn sie versucht, etwas von seiner Trauer zu verstehen, wendet er sich ab. Und so bewegen sie sich auf den Abgrund zu. Denn sie sucht ja keine Imitation und will auch nicht länger warten… Für mich eins der besten jemals in Europa geschriebenen Stücke.
Mothers And Daughters, Listen, Bold And Untrue
„Mothers And Daughters“ ist die immer währende Diskussion zwischen Müttern und Töchtern. Aber irgendwann ist jede Tochter erwachsen und geht ihren eigenen Weg und muss ihre eigenen Fehler machen. Manchmal sind dann eben auch die Träume der Mutter, die sie selbst als Mädchen hatte, nicht mehr die richtigen und können nur zerstören. Irgendwann müssen Mütter eben lernen, dass ihre Töchter Frauen geworden sind… Das ist schon sehr Swing-lastig.
Im Chanson „Listen“ fordert sie, er solle ihr endlich zuhören. Sie dachte ernsthaft, es täte ihm leid, dass er so eifersüchtig ist, obwohl sie ihm nicht davon läuft. Aber mit einem solchen Verhalten treibt er sie weg. Warum denkt er, sie würde ihn betrügen?… Wow, was für eine atmosphärisch anklagende Nummer ist das bitte?
„Bold And Untrue“ erzählt die Geschichte, dass er tut, was er will. Sie scheint ihm egal zu sein. Tja, und wenn er halt so ist und ihr auch noch was vorspielt, dann soll sie eben nicht ihre Zeit und ihre Gedanken an ihn verschwenden… Die Nummer ist quasi fast Rhythm & Blues und kommt ziemlich dick mit Satzgesang um die Ecke.
Muddy Waters, For You, Brave Jane, At The Parallel
Mit „Muddy Waters“ ist nicht der Blues-Musiker aus Mississippi gemeint, sondern die schlammigen Gewässer, wo man sich als Teenager herum getrieben hat. Und in dem Alter ist man auch immer wieder auf die falschen Leute herein gefallen. Und davor warnt die Mutter. Das Lied ist quasi die richtig gute Fortsetzung von „Mothers and daughters“.
„For You“ ist die zuckersüße Nummer für den Prinzen, für den die kleine Prinzessin alles tun würde. Irgendwie könnte das Lied direkt aus einem James Dean Film entsprungen sein. Aber genauso gut könnte das Lied für den jungen Mann sein, der die anklagenden Worte der Partnerin erfährt, doch bitteschön etwas besser mit seiner Mutter umzugehen. Erst hat er seine Spielzeuge weggeworfen, nun wirft er sein Leben weg. Ja, es ist das Lied für den Mann, sich doch an seine Mutter zu erinnern.
Die „Brave Jane„, die tapfere Jane, kommt dann auch noch um die Ecke. Sie, die stolze Frau, will sich von niemandem abhängig machen: nicht emotional, nicht finanziell, nicht sexuell. Und damit hat sie einfach mal „Eier“. Sie plant nicht mehr ewig im Voraus, sondern nimmt jeden Tag so, wie er ist. Und sie hebt keine Bilder von Liebhabern mehr auf, die es nicht wert waren. So sind doch die starken Frauen, oder?
Mit dem wunderbaren Chanson „At The Parallel“ kommt das Album zum Ende. Er steht kettenrauchend an der Tür vom „Rex“ und ist ein Bild von einem Mann. Dreck ist auf dem Fußweg, der Zeitungsjunge brüllt, und sonst hat sich auf der anderen Straßenseite nichts geändert. Ein Mädchen im „Molino“ mit Lederklamotten und der Staub bewegt sich zu ihren Füßen. Er denkt sich, ob sie ihn vielleicht will. Aber er steht weiter rauchend an der Tür und nichts ändert sich auf der anderen Straßenseite. Und das Mädchen im „Molino“ starrt immer wieder zu ihm herüber. Vielleicht ist das ihre Art, die Zuneigung zu erklären. Aber niemand wird es je erfahren.
Ein Album mit finsterer Vorgeschichte
Ihr könnt euch doch sicher noch an das genannte „What’s A Woman“, an „Nah Neh Nah“ und an „Night Owls“ erinnern. Die entstanden durch Dani Klein, Dirk Schoufs und die ganze Band. Dani und Dirk waren ein Paar, und alles war schön. Allerdings kam es dann zur Trennung, unter anderem wegen seiner Drogenexzesse. Das führte dann letztlich auch zum Tod. Im Mai 1991 starb Dirk Schoufs mit nur 29 Jahren. Er war der gefallene Engel aus dem Lied „Forever Blue“.
Überhaupt ist „Time Flies“ in großen Teilen durch die Trennung und den Tod beeinflusst. Das mag manchem viel zu düster sein. Aber die Inhalte sind halt so. „Time Flies“ halte ich für ein großartiges Album. Aber es wurde auch mal eben als „substanzlos“ abgetan. Warum? Keine Ahnung. Gerade die ganze Trauer muss man in mehr als der Hälfte der Lieder erstmal so hinbekommen. Nein, „Time Flies“ ist keineswegs substanzlos, eher zeitlos.
Ich glaube, das Schlimme an dem ganzen Umstand mit Dirk Schoufs war, dass er nicht mal durch die Drogen selbst starb, sondern durch eine HIV-Infektion, die er sich an einer kontaminierten Nadel eingehandelt hatte. Das wird ausgerechnet am Titelstück deutlich. Und so steuern wir direkt auf das 30. Jubiläum dieses denkwürdigen Albums zu. Ich finde es nach wie vor großartig. Aber das muss ja nicht für euch gelten.