Wenn sich ein singender Schlagzeuger selbständig macht. 1981 erschien das erste Solo-Album des britischen Genesis-Schlagzeugers Phil Collins. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Frage beantwortet, ob sich ein Schlagzeuger hinter seiner Trommelburg versteckt, weil er nicht singen kann. Mit „Face Value“ zeigte Phil Collins damals allen, wo der Hammer hängt. Und es gilt bis heute als eins der prägendsten Alben der britischen Musikgeschichte. In ein paar Jahren wird es 35 Jahre alt.
Los geht’s mit „In the air tonight“ als bekanntestes Lied des Albums. Die Anti-Romanze erzählt von unklaren Gefühlen. Wenn man ihm sagt, man ertrinkt, wird er keine Hand reichen. Er sah das Gesicht schon mal. Aber weiß man, wer er ist? Er hat die Tat gesehen. Man kann nicht mit dem Grinsen aufhören, obwohl er weiß, dass alles Lüge war. Und er fühlt, dass heute Nacht etwas in der Luft liegt. Auf diesen Moment hat er sein ganzes Leben lang gewartet. Collins selbst weiß angeblich nicht, was mit dem Text gemeint ist. Egal, ein Welthit ist es dennoch geworden.
Mit „This must be love“ wird er dann klarer. Er beschreibt hier auf einem latino-artigen Klangteppich das Glück der unerwarteten und unverhofften Liebe. Erst gab es nach einer Enttäuschung keine Hoffnung mehr, und dann kam DIE Liebe daher. Ja, ein schnulziges Thema. Dazu die etwas eigenartige Verwurstung aus wirr wechselndem Rhythmus und sanfter Keyboard-Struktur. Na gut, ich revidiere: Klarer ist anders. Oder?
Dann wird es mit „Behind the Lines“ funkig. Beeindruckend ist die hohe Rhythmik des Liedes, das irgendwie der Genesis-Zeit entlehnt ist. Niemand warnte ihn oder gab ihm einen Grund. Trotzdem war er da. Sie soll ihm Stärke geben, sodass er helfen kann. Niemand jagt ihm Angst ein. Das Lied ist wenigstens mal klar, fröhlich und positiv, oder?
In „The Roof is leaking“ wird ein Familiendrama in den Südstaaten der USA erzählt. Er erzählt von seiner Familie, von seiner schwangeren Frau und der Hoffnung, dass das Baby nicht kommt, so lang es kalt ist. Wegen der Kälte ist die Familie traurig. Aber er versucht, das Haus zusammen zu halten, auch wenn das Dach leckt. Dieses Stück ist bewusst sparsam. Aber gerade deshalb ist es so gut.
„Droned“ ist dann ein atmosphärisches Instrumentalstück, das sehr gut in die Südstaaten-Sache des vorherigen Liedes passt. Nur sind hier noch Latino-Elemente eingeflochten. Zeit, um Pause zu machen. Es zeichnet aber sehr gut das Gefühl, das man hat, wenn man „Droned“ ist, sich also durchgeleiert fühlt.
Noch ein Instrumental folgt dann mit „Hand in Hand“ auf dem Fuße. Mithilfe der „Phoenix Horns“ werden hier Stakkato-Figuren und Soft Soul verbunden, sodass man denken könnte, James Last hätte mit Barry White und Lionel Ritchie gekuschelt. Hier zeigt sich die Liebe von Phil Collins für Motown und Rhythm & Blues.
In „I missed again“ geht es um unerfüllte Liebe. Selbstironisch erzählt Phil Collins davon, was er denn alles verpasst hat. Er verpasste Chancen und Gelegenheiten und denkt dann später darüber nach und zählt auf, was ihm da durch die Lappen ging. Damit ist der Inhalt etwas freundlicher als das ursprüngliche „I miss you, Babe“ mit dem Inhalt, dass er sie vermisst.
„You Know What I Mean“ ist wieder etwas leises. Gerade als er dachte, er würde es schaffen, kam sie zurück in sein Leben, als ob sie nie weg war. Aber sie soll ihn doch einfach nur in Frieden lassen. Er will die Dinge wieder gerade rücken. Sie soll ihn mit seinen Träumen allein lassen. Er schafft es ohne sie. Huch, welche Bitterkeit, oder?
Mit „Thunder and Lightning“ beschäftigt er sich mit Soul und Funk und Donnern und Blitzen. Er dachte nie, dass er des Spielens müde würde. Aber er hat sich zu lang zurück gehalten. Jetzt macht er es richtig und zeigt ihnen, dass sie falsch liegen. Donner Blitze würden nie zweimal zuschlagen. Wenn das aber wahr wäre, wieso können sie nicht sagen, warum er nun ein gutes Gefühl dabei hat? In dem Lied sinnt Collins auf Rache.
„I’m not moving“ ist ein weiches R’n’B-Stück darüber, dass er nicht weichen wird. Sie drängt ihn heraus, er macht das ja nicht freiwillig. Sie soll doch machen, was sie denkt, das richtig ist. Er hat aber keine Eile und wird es aussitzen. Sie soll sich nicht sorgen, ihm den Rücken zuzudrehen, denn er wird ja eh noch da sein. Ja, ich kenne Leute, die kennen solche Situationen. Die sind für niemanden befriedigend, oder?
Mit „If leaving me is easy“ kommt das Album allmählich zum Schluss. Wenn es denn so einfach ist, ihn zu verlassen, ist es schwerer, wieder zu kommen. Sie hat ihn getäuscht. Er wird alle ihre Bilder behalten, aber seine Gefühle verstecken. Der Trost der Freund hilft ihm auch nicht so recht. Denn ihr Herz ist immernoch da. Und das wird wohl auch so bleiben.
Ganz am Ende covert Phil Collins noch „Tomorrow never knows“ von den Beatles. Das Original ließ damals schon die Leute aufhorchen durch die psychodelische Instrumentierung. Und das griff Collins auf. Die Beatles nahmen das Tibetische Totenbuch als Vorlage. MAn soll seinen Geist ausschalten und entspannen. Nichts stirbt. Alle Gedanken sollen liegen, sich der Leere hingeben. Man soll die Meinung von dazwischen erkennen. Die Liebe ist alles und jeder. Die BEatles haben das Lied unter dem Einfluss von LSD verfasst. Und das zeigt sich auch an dem Lied, oder?
Der Name „Face Value“ steht nicht nur für den Wert eines Gesichts, sondern auch für den aufgedruckten Wert von irgendwas, zum Beispiel von einer Briefmarke. Um die eineinhalb Jahre soll Phil Collins mit der Produktion des Albums zugebracht haben. Die lange Zeit gab ihm aber Recht. Es gab kaum ein Land, in dem er mit der Platte nicht unter die ersten 3 fuhr. Platin-, Diamant-, Gold-Auszeichnungen wurden angehäuft. Und ich denke, das war auch zurecht.
Klar, die Musik von Phil Collins ist nicht jedermanns Geschmack. „Face Value“ bildet da keine Ausnahme durch die Eigenwilligkeit mancher Lieder. Trotzdem ist es ein gelungener Longplayer, der wahrscheinlich auch heute noch bei vielen Leuten gern mal läuft.