Modern Talking? Die sonnengegerbten Singsang-Leute? Und der Uhle erzählt darüber? Ja, und wie! Weil ich „In 100 Years“ für wirklich gelungen einschätzen möchte. Für Dieter-Bohlen-Verhältnisse eine derbe düstere Nummer. Und die hat mich irgendwie gepackt. Ja, ich muss hier tatsächlich Deutschlands lautester Nervensäge – und das ist positiv gemeint – wirklich ein großes Kompliment machen. Das war die ganz große Nummer von ihm, Thomas Anders und der ganze Band darum. Schauen wir uns das mal an.
In 100 Years love is illegal
Außerhalb der Tore zum Himmel lebt ein Einhorn. Ich schließe meine Augen zur Sieben. Diese Welt ist nicht mehr mein Zuhause. Ein gebrochenes Herz in Gefahr und ein Kissen, das mit Tränen gefüllt ist. Kannst du die Fremden im Schmerz und in Angst sehen? Kannst du mein Herz fühlen? Gib nicht auf. Kannst du meine Liebe heute Nacht fühlen?
Du siehst durch das Feuer: Überall Computer. Du reitest auf der Schrotflinte. Überwacher hier und da und überall. Und du liest alte Liebesbriefe, die im Meer untergegangen sind. Und es spielt keine Rolle. Du hast alles verloren, was du fühlst. Kannst du mein Herz fühlen? Gib nicht auf. Kannst du meine Liebe heute Nacht fühlen?
In 100 Jahren ist die Liebe illegal. In 100 Jahren von jetzt an. In 100 Jahren ist die Liebe illegal in dieser einsamen Herzensbrecherstadt. In 100 Jahren ist die Liebe illegal. All deine Träume werden sterben. In 100 Jahren ist die Liebe illegal. Und deine Hoffnung wird nicht überleben. L. O. V. E. – Liebe ist illegal in meinem Herzen. Hör, dass mein Herz schlägt.
Eigentlich aneinander gereihter Unfug, eigentlich…
Jetzt können wir uns trefflich darüber streiten, bis wann es Kunst ist und wann der Kitsch anfängt. „In 100 Years“ ist genau das richtige Stück Musik dafür. Dieter Bohlen schreibt hier eine düstere Prophezeiung auf, die dann Thomas Anders verkündet. Alles gespickt mit „Baby“ und „Love“ und weiß der Himmel, was alles noch. Und natürlich liest sich der Text ziemlich blödsinnig. So, wie alle Modern Talking Texte. Aber das lag wohl auch daran, weil Dieter Bohlen nicht so ein großes Sprachgenie war.
Aber das weiß ich ja nicht. Ich kann es nur vermuten. Jedenfalls klingt aus „In 100 Years“ etwas ganz anderes heraus: Ich bin hier irgendwie nicht so weit weg vom „Ministerium für Liebe“ aus dem dystopischen Roman „1984“ von George Orwell. Und irgendwie fällt mir „Liebe is Hass“ aus dem Roman ein. Sie ist verboten, außer halt die Liebe zum „Großen Bruder“. Wir wissen alle nicht, ob es so war, aber vielleicht hatte Dieter Bohlen ja zur Zeit von „In 100 Years“ das Buch gelesen.
Und wer weiß, vielleicht hatte sich Dieter Bohlen auch als Nostradamus gesehen, der ja allerlei düstere Prophezeiungen aufgeschrieben hatte. Darunter eben auch Naturkatastrophen und Kriege und all das. Vielleicht ist die Welt, wie sie im Lied „In 100 Years“ angedeutet wird, ja das Resultat von Kriegen und Katastrophen? Und wer weiß, vielleicht ist ja „In 100 Years“ das ernsteste Stück, das Dieter Bohlen jemals geschrieben hat. Fulminant ist es jedenfalls schon, wie ich finde.
Das Lied
„In 100 Years“ war die gefeierte Single aus dem Album „In The Garden of Venus“ von 1987. Das Unheil zog am Horizont auf. Kurz nach der Single trennten sich Modern Talking für über 10 Jahre. Im Video sehen wir zusammengeschnittene Sequenzen von Krieg, Naturkatastrophen und all dem Schlimmen, was in diesen ominösen zurückliegenden 100 Jahren passiert ist.
Modern Talking haben es einfach mal geschafft, eine völlig neue Sprache in ihr Auftreten zu bringen. Ja, es war nach wie vor Popmusik mit einem Schuss Hi-NRG, viel Tamtam und Falsett-Gesang. Aber es war eben auch gewaltig viel Ernsthaftigkeit. Und das macht „In 100 Years“ zu einer herausragenden Nummer im ganzen Schaffen von Dieter Bohlen.