2016 hatte für mich mit „Human“ vom Rag’n’Bone Man ein zentrales Lied. Neben vielem Kroppzeug ist dieses spröde Lied ein ziemlich bezeichnendes Werk. Man soll ihm nicht die Schuld geben, denn er ist ja schließlich nur ein Mensch. Die herbe Blues-Nummer erinnert mich an das sagenhafte „Take me to Church“ von Hozier aus dem Jahr 2013. Nur ist „Human“ wahrhaftiger, ehrlicher, kraftvoller. Und eben auch bitterer. Rory Graham als Rag’n’Bone Man kommt herb und rau daher. Und das macht das Lied so gut.
Vielleicht bin ich ja töricht, vielleicht auch blind, zu denken, dass ich alles durchblicken könnte und erkennen, was sich dahinter befindet. Ich kann es nicht beweisen, also lüge ich vielleicht. Aber ich bin schließlich auch nur ein Mensch, gib mir nicht für alles die Schuld. Schau mal in den Spiegel. Was siehst du? Siehst du es klarer, oder lässt du dich von dem täuschen, was du glaubst? Ich bin nur ein Mensch, und du bist schließlich auch nur ein Mensch. Gib mir nicht die Schuld. Frag mich nicht nach meiner Meinung, sonst müsste ich lügen, dich um Vergebung bitten, dass ich dich zum Weinen gebracht habe. Manche Leute haben echte Probleme und manche kein Glück. Manche Leute denken, ich könnte die Probleme lösen, heiliger Herr im Himmel. Aber ich bin am Ende auch nur ein Mensch. Gib mir nicht die Schuld. Ich bin weder ein Prophet noch ein Messias. Nach denen müsstest du schon höher suchen. Ich bin nur ein Mensch. Ich bin nur ein Mann und tue, was ich kann. Gib mir nicht die Schuld.
Rory Graham, der frühere Heilerziehungspfleger für Asperger-Patienten, der über den Rap zum Blues gekommen ist, hat mit dem Britpop-Künstler Jamie Hartman und dem Produzenten Benjamin Ash eine Riesen-Nummer hingelegt, die aussagt, dass man nicht für alles verantwortlich ist. „Human“ sagt aus, dass es niemanden weiterbringt, wenn man in auswegloser Situation erstmal mit dem Finger auf andere zeigt. Der Mensch ist nun einmal schwach. Das ist kein Fehler, das wurde so konstruiert. Niemand ist perfekt, auch wenn das andere gern so hätten.
Rory Graham kommt als „Lumpensammler“ daher und reißt mit einer Stimme, gleich einer Abrissbirne, alles um sich herum ein. Das Lied explodiert immer wieder, wenn die Rede davon ist, dass es Leute gibt, die echte Probleme haben. Der Rag’n’Bone Man will damit aussagen, dass es schlimmeres gibt als die kleinen Macken, Ecken und Kanten, die jeder Mensch mit sich herum trägt. Das ist groß, das ist böse, das ist Blues. Es wurde damit an die große Zeit von Joe Cocker und all den Größen der Blues-Vergangenheit erinnert.
Instrumentiert ist „Human“ wie eine alte Schallplatte von Big Bill Broonzy, den man mit Public Enemy gekreuzt hat. Man hat schlagartig Bilder von afroamerikanischen Sklaven bei schwerster körperlicher Arbeit vor dem geistigen Auge. Dabei kommt der Rag’n’Bone Man aus Uckfield. Das liegt auf der britischen Seite des Ärmelkanals. Das Nest war mal ein Rastplatz für Pilger nach Canterbury. Und von dort aus erobert Rory Graham die Welt. Hoffen wir, dass noch viele derartige Blues-Gewitter um die Ecke kommen. (Hinweis unter dem Video.)
Mit diesem Artikel endet mein Blog für das Jahr 2016. Nächstes Jahr bin ich wieder zurück, wenn alles gut geht. Rutschen Sie gut rein. Und immer daran denken: Wir sind nur Menschen.