Ich muss was zu „Heimat“ aufschreiben. Die will ich nämlich ohne Nestbeschmutzer haben. Nein, ihr Irren, die Nestbeschmutzer seid ihr selbst. Ich will meine Ruhe haben und nicht in irgendeine Ecke gestellt werden. Ist das denn so schwer? Was ich damit meine? Wie oft hört man, dass jemand froh ist, ein Westfale zu sein. Meinetwegen auch ein Schwabe oder ein Nordfriese oder so. Ich will das auch. Ich will sagen können, dass ich ein Sachse bin, ohne mich gleich irgendwie besudelt zu fühlen. Und dafür müssen all die Nestbeschmutzer weg.
Was bedeutet denn Heimat?
Heimat ist das, wo man hingehört. Es ist der Ort oder das Territorium der Identität, der Sozialisation, der Mentalität. Im Englischen gibt es den Ausspruch „Home is where the heart is“. Heimat oder Zuhause ist da, wo das Herz ist. Ich wohne seit jeher – bis auf zwei kurze Ausnahmen – in Leipzig. Wer das immernoch nicht weiß: Leipzig ist die größte Stadt in Sachsen. Ich bin also Sachse durch und durch. Soll ich mich deshalb schlecht fühlen?
Wenn ich in eine bestimmte Ecke gestellt werde nur wegen des Faktes, dass ich Sachse bin, ist das diskriminierend. Wer auch immer das macht, ist nicht besser, als die Rechtsradikalen, die sonstwen diskriminieren. Ihr seid genau solche Nestbeschmutzer wie die Nazis. Ja, das meine ich ernst. Schämt euch dafür, dass man erst mit solchen Worten um sich werfen muss. Denn uns Sachsen wird es abgesprochen, unsere Heimat zu mögen, ohne gleich rechtsextrem zu sein.
Das Problem ist eben auch, dass Heimat noch viel mehr bedeutet als das Völkerschlachtdenkmal oder das Gohliser Schlösschen. Heimat hat auch etwas mit der Sprache und dem Dialekt zu tun. Man wird ja außerhalb dieses Bundeslandes komisch angeguckt, wenn man sächsisch redet. Aber bayrisch ist gut? Schwäbisch ist lustig? Und „da Balina, wa?“ oder das Ruhrplatt? Nein, nur sächsisch zu sprechen, das gehört sich nicht. Habt ihr sie eigentlich noch alle?
Wem die Heimat abgesprochen oder schlecht geredet wird, der fühlt sich immer ausgegrenzt und wie ein Mensch zweiter Klasse. Und das haben die besserwissenden Besserwessis super hinbekommen. Und nun fragt euch mal, wie das die stolzen Sachsen dann quittieren. Mit einem gepflegten „Fickt euch alle“. Die sächsische geistige Heimat – die gibt es ja auch noch – ist nämlich immer etwas sturer und damit anders als die gesamtdeutsche gewesen. Na, dämmert da etwas?
Nichts können wir richtig
Guckt mal ins Fernsehen. Nehmen wir das Thema „SOKO Leipzig“. Die Hauptdarsteller kommen aus Lübeck, Düsseldorf, Berlin und Kiel. Aber nicht mal die Nebendarsteller haben irgendwas mit Sachsen – geschweige denn mit Leipzig – zu tun. Nicht mal die Klofrau in der Diskothek, wo ein Mord passiert, spricht auch nur ansatzweise sächsisch. Wollen die uns hier eigentlich verarschen? In diesen Serien ist sächsisch „nicht erwünscht“. Ihr nehmt uns die Heimat im Fernsehen.
Stellt euch mal den Münchner oder Kölner Tatort ohne bayrisches oder rheinisches Lokalkolorit vor. Aufstände würde es geben. Beim Fußball ist das ja noch geiler: Thema RB Leipzig. „Kontrukt“, „Werbeunternehmen“, „macht den Fußball kaputt“. Kann sich irgendwer an LR Ahlen aus NRW erinnern? „LR“ stand offiziell für „Leichtathletik Rasensport“, aber jeder wusste, dass es um „LR Cosmetics“ ging. Aufschrei? Keiner. Den gibt es aber seit 2009 bei RB Leipzig. Weil der Laden aus Sachsen ist.
Auch Wirtschaft bedeutet Heimat. Im Ruhrpott geht man „zum Thyssen“, in Böblingen „zum Daimler“. In Leipzig? In eine Amazon-Niederlassung, in eine BMW-Niederlassung etc. Regionale Verbundenheit der Unternehmen? Keine. In der DDR wurde 40 Jahre lang alles verstaatlicht. Der kleinste Bauer wurde eine LPG. Aber wir können unsere Unternehmen nicht am Leben erhalten? Ihr spinnt euch da doch irgendwas zusammen.
Und weil das Alles so ist und dem Ost noch dazu irgendeine West-Identität aufgezwungen wird, schürt das eben den unbedingten Drang, die Mittelfinger hoch zu recken. Man wirft uns ja immer vor, dass wir nichts können würden. Und wenn der Staat mal irgendeine Behörde in den Osten verlegt, ist sofort das Geschrei riesengroß. Dabei scheißt ihr auf unsere Heimat, und das lassen sich viele im Osten -und vor allem in Sachsen – halt einfach nicht mehr gefallen.
Aber deshalb rechtsradikal sein?
Wisst ihr, wir Sachsen sind ein gemütliches Volk. Ja, hier in Leipzig hat man sich immer schon als was besseres gehalten als – sagen wir mal – in Riesa. Aber selbst Chemnitz kam immer schlechter weg. Jahrhunderte lang hieß es: „In Dresden wird regiert, in Leipzig gehandelt, in Chemnitz gearbeitet“. Sachsen ist ein großartiges Stückchen Erde. Und ich kann es nun mal nicht anders sagen, aber wir sind nicht „rechts“, wir sind mit der Heimat verbunden, so wie die Bayern, die Hessen, die Pfälzer.
Und die zugelaufenen Spinner mit ihren blauen Parteifahnen haben angefangen, unser Land vollzukotzen. Jedes Fleckchen auf der Welt hat seine wunderlichen Idioten. Die hat Sachsen demnach auch. Und die haben sich mit den zugelaufenen Spinnern zusammengetan. Und gemeinsam skandieren sie das oben skizzierte „Fickt euch alle“ und zeigen sie den hoch gereckten Mittelfinger. Das ist nicht das, was Sachsen eigentlich ausmacht. Hört auf, etwas anderes zu behaupten.
Paul Frommeyer kommt aus Meck-Pomm und schrieb in der TAZ, wie das so bei ihm ist mit der AFD. Er will sich genauso wenig die Heimat besudeln lassen. Er will nicht weg aus seinem Dorf. Stattdessen soll dieser AFD-Laden politisch unbedeutender werden. Genau wie er sehe ich das auch: Wem hilft es denn, die Wähler des Ladens derart zu dämonisieren? Bringt es nicht eher etwas, mal wieder ins Gespräch zu kommen? Auf dem Dorf klappt das dabei eher als in einer 632000-Einwohner-Metropole.
Nein, ich lasse mich nicht als Nazi beschimpfen, nur weil ich Sachse bin. Die über 4 Millionen Sachsen dann aber auch nicht. Es gibt Gründe für solche Wahlergebnisse wie im Februar. Und die haben auch etwas mit all dem zu tun, was ich in den vergangenen rund tausend Worten aufgeschrieben habe. Euer „Wie ist das eigentlich, ein Nazi zu sein“ mir gegenüber könnt ihr euch an den Hut stecken. Das löst nicht ein einziges bestehendes Problem. Aber das wisst ihr alle sicherlich besser als wir.
Du hast mir gerade die Augen geöffnet! Nicht, was die Sachsen betrifft (diejenigen, die ich näher kennengelernt habe, waren in der Mehrzahl ganz tolle Menschen), nicht was das pauschale Verteufeln betrifft, sondern was die ganz profane Feststellung über die Fernsehserien anbelangt. Das war mir bislang gar nicht aufgefallen bzw. bewusst geworden. Aber es stimmt! Ob es SoKo ist (die Leipziger SoKo sehe ich sehr gerne, weil mir das Team ausgesprochen sympathisch ist und die Storys ab und an echt skurril) oder Tatort… tatsächlich hört man da keinen Dialekt. Und das ist wirklich sehr fernab jeglicher Realität. Bin gerade ein wenig baff… vor allem, weil mir das nicht aufgefallen ist.
Ja, siehste. Wie gesagt: Stell dir mal Ballauf und Schenk „unrheinisch“ vor. Niemals wäre das möglich. Ich erwarte das ja nicht mal bei Hauptrollen. Denn das können immer „Zugezogene“ sein. Aber der Arbeitslose, die Kiosk-Verkäuferin, der Postbote, was auch immer: Die können sie wirklich auch in Serien, die in Sachsen spielen, sächsisch reden lassen.
Puh, das ist schwere Kost. Der Frust sitzt offenbar tief, und aus Deiner geschriebenen Sicht ist das durchaus nachvollziehbar. Ich glaube einfach, dass wir Besserwessis vieles einfach nicht nachvollziehen oder verstehen können, weil uns diese Situation wirklich fremd ist. Das ist keine Entschuldigung, aber ein Ansatz für das Verhalten.
BTW: Ich würde lieber Sächsisch im TV hören als bayrisch oder schwäbisch. Letzte finde ich fürchterlich.
Du hast ja keine Vorstellung, was wir uns zum Teil anhören müssen. Dass da irgendwann mal Frust dazu kommt, sollte klar sein. Ihr werdet ja auch nicht als „stinkende Pottnasen“ verunglimpft, nur weil der Ruhrpott sich jahrzehntelang durch Kohle und Stahl ausgezeichnet hat.
Nein, es ist in der Tat so, dass viele aus dem „gelobten Land“ (So bezeichnete ein gescheiterter BWLer aus Wuppertal während meiner Umschulung Anfang der 2000er die veralteten Bundesländer) nicht verstehen können, was hier abging und wie man sich dennoch rechtfertigen muss vor Nasen, die keine Ahnung vom Osten haben.
Na Eivorbibbsch, dor Dommi will Säggsch hörn? Irgendwer erzählte ja ernsthaft mal, dass man das nicht verstehen würde. Hat mal jemand außerhalb von Bayern versucht, den Bayern zuzuhören?
Oh, besten Dank auch. Es gab ja schon Überlegungen, den Stuttgarter Tatort zu untertiteln… Dabei reden die Hauptdarsteller Hochdeutsch.
Ich höre gerne Fränkisch (die bayrischen Palästinenser, sozusagen). Bei zu schnellem Tempo versteht ich dann aber auch gerne mal nix. Ich selber habe keine sprachliche Einfärbung mehr – zu oft umgezogen
Und Thema Sachsen – Sam Hawkins aus Winnetou (speziell der Ölprinz) war Sachse. Wenn ich mich nicht irre…
Aber der Dresdener Schnabel sächselt doch, oder täusche ich mich? Der wurde anfangs aber auch echt ein bisschen doof dargestellt, hatte dann aber die Chance sich zur Sympathiefigur zu entwickeln.
Aber du hast wahrscheinlich trotzdem recht und das ist wohl ne Ausnahme.
An Sachsen haben wir tolle Erinnerungen, waren schon oft in Görlitz, was echt eine richtig schöne Stadt ist.
Naja, der Schnabel wird ja von Martin Brambach gespielt. Der ist zwar aus Dräsdn, wohnt aber schon ewig im Ruhrgebiet, was man eben auch hört. Es ist noch ein bisschen Dresdner Singsang da, aber er ist halt in der Tat die Ausnahme.
Die Kultur der Sachsen ist hier entscheidend. Dass es manche schöne Stadt gibt, ist vollkommen klar. Aber bei der Dirndl-Fraktion in Süddeutschland wird ja auch Wert auf Kultur gelegt. Warum dann nicht in Sachsen?